Spitalseelsorge für alle - auf Kosten der Allgemeinheit?

In der Reihe "Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht" ist 2008 eine Masterarbeit zum Thema Spitalseelsorge erschienen, die eine Bestandesaufnahme angesichts der religiösen Pluralisierung sein will.

Status quo

Der Autor unterscheidet 4 Typen von Regelungen in den Kantonen:

Individualrechtliche Regelungen: ZH, LU, OW, NW, SO, BS SH, SG, AG, TG, TI, VS, GE

Gesundheitsrechtliche Regelungen: BE, AR, AI

Staatskirchenrechtliche Regelungen: GL, FR, BL

Verzicht auf eine Regelung: NE

Keine Regelung: UR*, SZ, ZG, GR, VD, JU

* finanziert aus allgemeinen Steuermitteln - ohne rechtliche Grundlage.

Befund des Autors

Aus grundrechtlicher Sicht würden einzig Regelungen überzeugen, die ein individuelles Recht auf Seelsorge anerkennen und solche, die den Spitälern einen Leistungsauftrag erteilen. In 10 Kantonen seien deshalb die Regelungen im Lichte der Religionsfreiheit bzw. des Diskriminierungsverbots mangelhaft.

Kommentar

Der Autor wendet einen nicht unbestrittenen Diskriminierungsbegriff an, wenn er davon ausgeht, dass der Staat gegenüber einer hospitalisierten Person eine besondere Schutzpflicht hinsichtlich ihrer seelsorgerischen Betreuung habe und eine faktische Diskriminierung von Minderheitsreligionen verhindern müsse, welche die Mittel nicht hätten, eine seelsorgerische Betreuung zu garantieren.

Im Gegensatz zu einer Erziehungs-, Haft- oder Verwahrungsanstalt, wo die Person auf richterlichen Beschluss hin festgehalten wird und keine Möglichkeit hat, allfällige seelsorgerische Bedürfnisse zu befriedigen, sind Patienten aus eigenem Willen im Spital oder können es zumindest jederzeit verlassen und können Seelsorger jederzeit im Rahmen des heute weit gefassten allgemeinen Besuchsrecht ihre Tätigkeit wahrnehmen. Eine jederzeitige Erreichbarkeit von Seelsorgern aller Religionen würde zu einem grotesken Ausbau der Spitalseelsorge führen.

Gewagt erscheinen auch die Erwägungen des Autors zur Legitimität der Finanzierung seelsorgerischer Angebote durch die Krankenkasse resp. durch allgemeine Staatssteuern.

Mit Verweis auf ein über 40 Jahre altes BGer Urteil geht er davon aus, dass „die Freiheit von unzumutbaren Kultussteuern durchaus nicht zum Kernbereich der Religionsfreiheit gehört“. „Die Möglichkeit besteht, im Falle einer Kollision zwischen dem Verbot unzumutbarere Kultussteuern einerseits und dem Recht auf freie Religionsausübung und der staatlichen Schutz- und Fürsorgepflicht andererseits die verschiedenen Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Die positive Glaubensfreiheit und die Kultusfreiheit stellen zweifellos zentralere Aspekte der Religionsfreiheit dar als die individuelle Freiheit von Kultussteuern, die anderen Glaubensgemeinschaften zugutekommen“ (S. 90).

Dass die Spitalseelsorge nicht über die Krankenkasse abgerechnet werden kann, könne sich rechtsungleich auswirken, indem Atheisten insofern bevorzugt würden, weil sie in Spitälern auf Kosten der Krankenkasse jederzeit psychologische Hilfe beanspruchen könnten. Deshalb schlägt er als mögliche Lösung vor, die Spitalseelsorge auf Bundesebene in den Kriterienkatalog für die Zulassung von Spitälern als Leistungserbringer aufzunehmen, damit alle Personen seelsorgerliche Betreuung im eigenen Glauben beanspruchen können. Dies müsse „ausdrücklich geschehen, denn die seelsorgerliche Betreuung wird wohl kaum den allgemeinen Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit medizinischer Leistungen (Art. 32 Abs. 1 KVG) genügen können".

Der Autor spricht sich denn auch gegen die Deregulierung aus und für die Legiferierung des Bundes, bevor die Parteipolitik sich des Themas annehme.

Es gilt also aufmerksam zu sein in Zukunft, ob in gesundheitspolitischen Paketen nicht öffentlich finanzierte Seelsorge verpackt wird!

Reta Caspar

Quelle

Kissling, Christian: Spitalseelsorge und Recht in der Schweiz, Verlag Schulthess, 2008.

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