"Soll Gott von der Schule fliegen?"

so der Titel des heutigen MamaBlogs auf der Webseite des Tages-Anzeigers.

Kommentar von Andreas Kyriacou, Präs. Freidenker Zürich:

Ich kenne kaum einen Freidenker, der findet, Religionskunde hätte in der Schule überhaupt keine Platz verdient. Ein eigenes Fach bräuchte es dazu allerdings nicht zwingend. Dies doch so vorzusehen, war eine etwas ängstliche Reaktion des Zürcher Kantonsrates auf die Volksinitiative evangelikaler Kreise, welche den Bibelunterricht, den der Kanton nicht mehr mit zahlen wollte, hätte retten sollen. Das Parlament gelobte also etwas besseres in den Lehrplan aufzunehmen und so wurde das Fach «Religion & Kultur» erschaffen...

Die politische Ausgangslage akzeptieren die Freidenker sehr wohl. Sie bestehen aber ebenso darauf, dass Artikel 15 der Bundesverfassung eingehalten wird, der besagt «Niemand darf gezwungen werden ... religiösem Unterricht zu folgen.» Die Bildungsdirektion nimmt jedoch mutwillig Kurs auf den Eisberg. Was im Fach R & K geboten wird, ist eine reine Angebotspalette der Religionen, alles weltliche wird aussen vor gelassen. So entsteht vor allem auf den unteren Stufen für die Kinder ein impliziter Druck, aus dieser Angebotspalette etwas anzunehmen, Kinder aus nicht religiösen Haushalten werden nicht abgeholt, das Fach tut so, als ob es sie schlicht nicht gäbe, es wird nichts aus ihrem Alltag berichtet. Damit verkommt das Fach eben doch zu «religiösem Unterricht», den die Bundesverfassung ausschliesst. Das Fach ist aber in der aktuellen Form nicht nur für Kinder und säkular eingestellte Eltern eine Zumutung, es ist es auch für Lehrpersonen. Es wäre billig, beim Hombrechtiker Fall die Schuld alleine der Lehrperson in die Schuhe zu schieben, die einen gänzlich ungeeigneten Text erwischt hat. Das Fach gehört inzwischen in allen Gemeinden zum Stundenplan, es gibt aber noch kein Lehrmittel und die Lehrpersonen werden ungenügend über zwingende Spielregeln instruiert.

Eine Evaluation des Fachs brachte erste, äusserst ernüchternde Ergebnisse zu Tage: Keine der Lehrpersonen, die früher biblische Geschichte unterrichtet hatte, hatte wirklich verstanden, dass das Fach ganz anderen Rahmenbedingungen gerecht werden müsste. Und jede zweite Lehrperson verwendet Elemente des «teaching in religion», also des Unterrichtens aus einer bestimmten religiösen Warte heraus, statt konsequent Religionskunde (neudeutsch: teaching about religion) zu betreiben. Der zuständige Bildungsrat Jürgen Oelkers sieht aber keinerlei Handlungsbedarf. Er ist es auch, der durchsetzen will, dass der Kanton Zürich beim überkantonalen Lehrplan 21 eine Ausnahmeregelung erhält: Oelkers sträubt sich dagegen, dass Zürcher Schüler Lehrziele zum Thema Ethik vorgegeben kriegen, Religion soll ihnen genügen. (Der Titel des Fachs ist eine Mogelpackung, Kultur kommt nur in religiösem Korsett daher.)

Dass mit diesem Fach schulische Selektion betrieben wird (es ist ein Notenfach und hat den Status «provisorisch obligatorisch») ist ein Skandal, ebenso dass der Kanton mutwillig Dutzende von Millionen in den Sand setzt. Denn es ist klar, dass das Fach in der heutigen Form vor Bundesgericht keine Chance hat.

Es geht übrigens sehr wohl auch anders: Der Kanton Graubünden ist dabei, ein zukunftsfähiges Modell zu entwerfen, bei dem in der Volksschule neu eine Lektion pro Woche Ethik und Religionskunde unterrichtet wird, und der (freiwillige) kirchliche Konfessionsunterricht sich in Abstimmung mit dem Lehrplan mehr auf die eigenen kultischen Inhalte konzentrieren kann. Die Ausgestaltung in Graubünden geschieht übrigens unter Federführung der Ethikfachstelle der Uni Zürich. Zum Zürcher Fach «Religion & Kultur» muss sie aber aussen vor bleiben...

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