Klare Grenzen

Bruno Stutz (Februar 2006)

Die Proteste gegen die Karikaturen haben in kurzer Zeit beinahe den gesamten islamischen Raum erfasst – und die Frage stellt sich, ob sie nur ein vorübergehendes Ereignis sind, oder ob der “Kampf der Kulturen” in ein neues, gewalttätigeres Stadium getreten ist. Nun, manche Regimes in der islamischen Welt benutzen (und steuern) diesen Streit noch so gerne, um von den eigenen, wachsenden und kaum lösbaren innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Und so präsentieren sie den von ihren Lebensumständen enttäuschten Menschen den vermeintlich Schuldigen an ihrer Misere – den bösen, ungläubigen Westen, der ihnen seit den Kreuzzügen nur Schlechtes will.

Und wie reagiert jetzt der freie, aufgeklärte Westen? Er verweist wohl weiterhin auf seine Werte und Ideale, beginnt aber bereits darüber nachzudenken, ob die Meinungsfreiheit sich nicht irgendwelchen archaischen Wertvorstellungen unterzuordnen hat. Und die Karikaturen werden – die Oligarchen im arabischen Raum vernehmen es dankbar – als dümmlich, verletzend und qualitativ minderwertig abgetan. Doch nicht genug damit, einzelnen Regierungen sitzen demütige Entschuldigungsfloskeln schon auf den Lippen. Aber bitte, was gibt es gelungeneres, als der Spruch des Torwächters an die vielen Selbstmordattentäter: Halt, halt, uns gehen die Jungfrauen aus! Da müsste eigentlich auch der moderate Muslim leise schmunzeln, oder vielleicht sogar erkennen, wie absurd doch die Paradiesversprechen sind.

Der Westen hat in dieser Angelegenheit viel selbstbewusster aufzutreten. Er muss seine Freiheit, sämtliche Weltanschauungen hinterfragen, kritisieren oder ablehnen zu dürfen, kompromisslos verteidigen. Es ist nun mal eine Tatsache: Religionen, auch Offenbarungsreligionen, sind nicht mehr und nicht weniger als individuelle, rein persönliche und irgendwann von irgendwem aufgeschriebene Vorstellungen und Auffassungen über die Welt und das Leben in dieser Welt. Und genau deshalb ist es das Recht des Einzelnen, diesen Meinungen in unterschiedlichen Formen entgegenzutreten, sobald sie sein Leben oder das Leben anderer beeinträchtigen.

Wenn beispielsweise in Oberösterreich einige muslimische Väter verlangen, dass auch österreichische Lehrerinnen ein Kopftuch tragen müssen, und dass diese, weil als Frauen eher minderwertig, nur geduzt werden sollten, werden die freiheitlichen Grundwerte unserer Gesellschaft so rigoros in Frage gestellt, dass solche Forderungen umgehend zurückzuweisen und nicht einmal einer ernsthaften Diskussion würdig sind. Diese verblendeten Fundamentalisten karikieren sich und ihre Religion ja selbst – da braucht es nicht mal scharfzüngige Zeichner dazu! Solchen grotesken und arrogant vorgetragenen Verlangen kann man eigentlich nur noch mit Ignoranz begegnen.

Dass sich bei uns immer wieder Verantwortliche finden, die dem kopftuchtragenden Mädchen und dem Dispens für Schwimm- und Turnunterricht wohlwollend gegenüberstehen, zeigt doch eindrücklich, dass viele Gutgläubige in den Verwaltungen und Lehrerzimmern gar nicht wissen, um was es hier wirklich geht:

Eine lautstarke, aber einflussreiche Minderheit fanatischer Muslime will, dass sich ihre kleine Welt im Westen nach (herausgesuchten und ihren Lebensvorstellungen entsprechenden) Regeln des Korans und der Überlieferungen Muhammads richtet. Nicht nur, dass sie von uns völlige Freiheit zur Ausübung ihrer religiösen Riten und Lebensweisen fordern, sie erwarten von uns auch uneingeschränkte Toleranz. Eine Toleranz die sie aber hier, wie auch in ihrem Heimatland den Anders- oder Nichtgläubigen nie zugestehen würden. Wie das Beispiel aus Oesterreich zeigt, verlangen sie sogar im freien Europa eine Anpassung der aufgeklärten, einheimischen Bevölkerung an ihre archaischen Werte.

Den religiösen Eiferern müssen endlich klare Grenzen gesetzt werden. Grenzen, die ihnen erlauben, die (gesetzlich und moralisch zulässigen) Riten ihrer Religion im privaten Raum ungehindert auszuüben, in keiner Weise aber weitergehende Forderungen an die freie Gesellschaft zu stellen.

Bisher weckte doch jedes naive Entgegenkommen von unserer Seite immer wieder neue, noch umfassendere Begehren und je mehr Verständnis wir für ihre Wünsche und Anliegen zeigen, umso mehr fühlen sie sich in der Richtigkeit ihres Tuns bestätigt. Und ganz sicher müssen wir uns bei ihnen nicht anbiedern und uns für diese Karikaturen entschuldigen.

Dass nun gerade diese Karikaturen die Schuld am weiteren Zerwürfnis mit der islamischen Welt tragen sollen, scheint mir eine etwas gar weit hergeholte Begründung. Sie werden doch ganz einfach zum Anlass genommen, eine neue Hasskampagne gegen den ungläubigen, dekadenten und überheblichen Westen zu starten. Zu vielfältig sind aber die Ursachen in diesem “Kampf der Kulturen”: Das ungelöste Palästinaproblem, der immer unverschämtere Raubzug des Westens auf die Oelvorkommen, die persönliche wirtschaftliche Perspektivlosigkeit vieler junger Muslime, korrupte Regimes und vor allem die besorgniserregende demografische Entwicklung treiben immer mehr enttäuschte junge Menschen in die Klauen ruchloser, fundamentalistischer Seelenfänger. Und die sorgen dafür, dass wir in der nächsten Zeit mit immer stärkeren Ausbrüchen der Gewalt konfrontiert werden. Hier wie dort.

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