Fristlose Kündigung nach Streit um Kruzifix

NZZaS, 10.10.2010

Gemeinde Stalden (VS) beharrt auf katholischem Symbol im Schulzimmer. Lehrer wehrt sich - und muss gehen Ein Oberstufenlehrer im Wallis weigert sich, das Kruzifix im Klassenzimmer aufzuhängen. Nun verliert er seine Stelle. In Triengen (LU) ist ein ähnlicher Konflikt entbrannt.

Matthias Herren

Am vergangenen Freitagnachmittag, wenige Stunden vor Herbstferien-Beginn, erhält Valentin Abgottspon die fristlose Kündigung überreicht und muss seine Schlüssel sofort der Schulkommission abgeben. Der Lehrer an der Orientierungsschule Stalden (VS) hat es abgelehnt, dass in seinem Schulzimmer ein Kruzifix hängt. Doch davon steht im Kündigungsschreiben nichts. Begründet wird die Entlassung damit, dass das gegenseitige Vertrauensverhältnis wegen verschiedener Vorkommnisse gestört sei. «Die Schulbehörde muss davon ausgehen, dass der ordentliche Schulbetrieb mit Ihnen nicht mehr gewährleistet ist», heisst es im Schreiben.

Kritik provoziert Reaktionen

Dabei hat sich lange Zeit niemand daran gestört, dass der Oberstufenlehrer bereits vor anderthalb Jahren das im Wallis obligate Kruzifix aus seinem Klassenzimmer entfernt hat. Seine Lehrerkollegen sowie auch mindestens eine Person der Schulbehörde wussten davon. Den Ärger auf sich gezogen hat Abgottspon erst, als er im Sommer als Präsident der Walliser Sektion der Freidenker-Vereinigung bei der kantonalen Dienststelle für Unterrichtswesen vorstellig wurde. Er regte an, die Schulleitungen zu informieren, dass gemäss einem Bundesgerichtsurteil von 1990 (siehe Kasten) auf Wunsch von Eltern das  Kruzifix in Schulräumen anstandslos zu entfernen sei. Im Weiteren kritisierte er, dass kirchliche Feste wie Erstkommunion oder Firmung nicht nur im Religionsunterricht, sondern auch im Werken, Singen und Deutsch vorbereitet würden. Der Präsident der Freidenker-Vereinigung verlangte, dass sich die Schule konsequent religiös neutral verhalte.

Statt auf die Anliegen einzugehen, verwies die Schulbehörde Abgottspon auf Artikel 3 des Walliser Schulgesetzes. Demnach muss die Schule unter anderem den Schüler «auf seine Aufgabe als Mensch und Christ» vorbereiten. Der Lehrer macht kein Hehl daraus, dass er diesen Auftrag nicht erfüllt. Das wollte der Stalder Gemeindepräsident und Walliser CVP-Grossrat Egon Furrer nicht akzeptieren. Er kündigte in einem Interview im lokalen «Radio Rottu» Konsequenzen für Abgottspon an. Wenige Tage später wurde der Lehrer in einem von fünf Gemeindepräsidenten und acht Mitgliedern der regionalen Schulkommission unterschriebenen Brief aufgefordert, das Kruzifix in seinem Klassenzimmer wieder aufzuhängen. Abgottspon teilte mit, dass er dies nicht tun werde. Darauf hängte jemand den gekreuzigten Christus in der Nacht nach Ablauf der Frist wieder im Klassenzimmer auf. Das Prozedere wiederholte sich eine Woche später, nachdem der Lehrer das Kreuz wieder abgenommen hatte.

Abgottspon, der in der Nachbargemeinde von Stalden wohnt und in Vereinen aktiv ist, betont, dass er gerne an der Schule Stalden gearbeitet habe und die Lehrerkollegen seine Religionsfreiheit respektiert hätten. Auf seiner Telefon-Combox und in Briefen musste sich der Freidenker aber schon vor seiner Kündigung einiges gefallen lassen: «Das Kreuz wartet auf dich», wurde ihm gedroht und vorgeworfen, dass er mit dem Teufel im Bunde und sein Verhalten Schuld an der Krankheit seiner Mutter sei.

Parallelen im Kanton Luzern

Dass sich Schulbehörden nicht um das Bundesgerichtsurteil scheren, erlebte auch ein Vater von zwei Unterstufenschülern im luzernischen Triengen. Er verlangte im Sommer vergeblich, dass das Kruzifix aus den Klassenräumen seiner Kinder entfernt werde. Der Schulleiter antwortete ihm per E-Mail: «Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass Sie sich in der Gemeinde des christlichen Abendlandes niedergelassen haben.» Das Kruzifix sei das Symbol dieser Kultur. Der Vater fühlte sich durch die «respektlose Antwort» verletzt.

In einem Brief unterstützt auch der Gemeinderat Triengen den Schulleiter und schliesst sich dessen Haltung «vollumfänglich» an. Darauf verlangte der Vater eine beschwerdefähige Verfügung, die ihm auf den 13. Oktober in Aussicht gestellt wird. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Auf Anfrage der «NZZ am Sonntag» teilte Schulpräsident Peter Häfeli vergangene Woche mit, dass die Schulpflege das Bundesgerichtsurteil akzeptiere und vorschlage, die Kruzifixe in den Schulzimmern der beiden Kinder abzuhängen.

Für den Zürcher Staatsrechtler Andreas Kley ist klar, dass in Stalden und Triengen die Kruzifixe sofort hätten entfernt werden müssen. Arbeitsrechtlich könne man Valentin Abgottspon nicht belangen, wenn er als Lehrer seine Schüler nicht auf die «Aufgabe als Christ» vorbereite. Kley erstaunen die Reaktionen der Behörden jedoch nicht. «Grundrechte wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit schützen Minderheiten», sagt er. Dass sie regelmässig Konflikte erzeugen, sei natürlich. «Das beweist, dass unsere Grundrechte funktionieren.»

Online erst seit 14.10.2010: http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/fristlose_kuendigung_nach_streit_um_kruzifix_1.7928148.html

Weitere Meldungen

http://www.1815.ch/wallis/aktuell/streit-um-kruzifix-endet-mit-kuendigung-7385.html

http://www.drs1.ch/www/de/drs1/sendungen/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/90293.sh10154419.html

http://www.canal9.ch/tele-oberwallis/tagesinfo/tagesinfo/12-10-2010/tagesinfo.html

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