Das Kreuz mit der Laizität

DAS KOPFTUCH IM FRANZÖSISCHEN VERFASSUNGSRECHT

Von HENRI PEÑA-RUIZ *

* Philosoph, Dozent am Institut d'études politiques in Paris, Mitglied der Stasi-Kommission, Autor von "Qu'est-ce que la laïcité?", Paris (Gallimard) 2003.

ÜBER staatliche Gesetze hat der Dominikanerpater Henri Lacordaire (1802-1861) dereinst alles Wesentliche gesagt: "Im Verhältnis zwischen Starken und Schwachen ist Freiheit gleich Unterdrückung und Gesetz gleich Freiheit." Kündigungsschutzgesetze zum Beispiel bewahren in Zeiten der Arbeitslosigkeit die Beschäftigten vor dem Diktat der wirtschaftlich Mächtigen. In einem Rechtsstaat wie der französischen Republik schafft das Recht als Hüter des Gemeinwohls die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen Menschen der vielgestaltigen Herrschaft der Mächtigen zu entziehen. Auch die Trennung von Kirche und Staat entspricht diesem Postulat und repräsentiert insofern lediglich das Interesse der Allgemeinheit. Indem sie die moralische und geistige Autonomie des Einzelnen verteidigt, postuliert sie die Gewissensfreiheit und die vollkommene rechtliche Gleichstellung aller Menschen ohne Ansehung ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihres Glaubens. Die Trennung von Kirche und Staat war zu keiner Zeit gegen die Religionen gerichtet, soweit diese sich auf die spirituelle Dimension beschränken und keinen Anspruch auf Gestaltung des öffentlichen Raums erheben. Die rechtliche Trennung zwischen staatlicher Gewalt auf der einen und Kirchen sowie religiösen, ideologischen, ökonomischen oder sonstigen Interessengruppen auf der anderen Seite ist also von wesentlicher Bedeutung. Das staatliche Bildungswesen wie der öffentliche Dienst überhaupt müssen vor dem Zugriff von Interessengruppen geschützt werden.

Heute stellt sich freilich die Frage, ob der öffentliche Raum sich weiterhin als Vehikel der Emanzipation behaupten kann. Die Überbetonung der Differenz, die immer mehr in Mode kommt, bringt offensichtliche Konfrontationen hervor. In Zeiten sozialer und internationaler Spannungen ist es eine gefährliche Annahme, dass alle möglichen Besonderheiten sich stets und überall uneingeschränkt Ausdruck verschaffen können. Denn damit setzt man Menschen, die unabhängig bleiben wollen und religiösen oder kulturellen Fanatismus ablehnen, der durchaus realen Gefahr aus, beschimpft, stigmatisiert und verfolgt zu werden.

Fortsetzung: http://www.monde-diplomatique.de/pm/2004/02/13/a0033.text.name,askreqYSy.n,2