Unchristliches Abendland

(taz) Bislang herrschte doch eigentlich Einigkeit darüber, dass die Wurzeln des europäischen Denkens im antiken Griechenland zu suchen sind. Was wir heute als okzidentalen Rationalismus bezeichnen, verbreitete sich dann mit Hilfe römischen Machtbewusstseins über die gesamte mediterrane Welt. Politische Selbstverwaltung, Debattenkultur, Toleranz gegenüber dem Andersartigen: das alles war längst da, als eine intolerante Sekte die Grundlagen der antiken Welt zu erschüttern begann.

Für seine These, mit dem Monotheismus sei eine neue Art von Hass in die Welt gekommen, wurde der Ägyptologe Jan Assmann fast ebenso geprügelt wie jetzt die niedersächsische Sozialministerin. Dabei war diese Sicht keineswegs neu. Schon vor zweihundert Jahren wies der britische Historiker Edward Gibbon darauf hin, dass vor allem der Aufstieg des Christentums die tolerante Kultur der Antike zerstörte.

Die neuere Forschung sieht das vermeintlich christliche Mittelalter als einen Prozess der gleichzeitigen Ausbreitung aller drei monotheistischen Religionen - des Christentums im Westen, des Islams im Osten und des Judentums in der Diaspora. Zur Wahrheit gehört auch, dass alle drei Religionen Errungenschaften der Antike weitertrugen. Dass der Islam, der dabei erst führend war, später ins Hintertreffen geriet, dürfte auch mit älteren kulturellen Prägungen des östlichen Mittelmeerraums zusammenhängen. Vor allem mit der zunehmenden Erstarrung von byzantinischer Kultur und orthodoxer Religion, als deren legitimer Erbe sich das heutige Griechenland versteht.

Erst die Emanzipation von der christlichen Dogmatik in Renaissance und Aufklärung schuf die Grundlagen dessen, was wir heute das Projekt der Moderne nennen. Der Weg dahin war lang und widersprüchlich. Während sich in den katholischen Ländern die Sphären von Kirche und entstehenden Nationalstaaten ausdifferenzierten, bedeutete die Reformation Luthers in dieser Hinsicht einen historischen Rückschritt.

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