«Politischer Islam» von Susanne Schröter – fundierter Einblick in ungemütliche Netzwerke

Nun ist es im Handel: Das Buch «Politischer Islam: Stresstest für Deutschland» der Ethnologin Susanne Schröter. Andreas Kyriacou empfiehlt es als gut zu lesende und profunde Analyse, die aufrütteln soll.

Buchcover «Politischer Islam»

Der Untertitel deutet es an: Susanne Schröter, Ethnologin und Direktorin des Frankfurter universitären Forschungszentrums Globaler Islam, sieht im politischen Islam eine Belastungsprobe.

Zu Beginn zeigt die Autorin die Ursprünge derjenigen Strömungen im Islam auf, die das ganze gesellschaftliche Leben nach der Blaupause des Korans organisieren wollen. Sie beschreibt, dass mehrere Gründerväter solcher Bewegungen militärische Niederlagen oder die empfundene Rückständigkeit der islamischen Welt mit ungenügendem Glauben erklärten und überzeugt waren, nur eine Rückbesinnung auf die Lehre Mohammeds könne ihre Situation verbessern. Mehr, nicht weniger Religion lautete deshalb jeweils die Devise.

So argumentierte beispielsweise der muslimische Rechtsgelehrte Ahmad ibn Taymiyya im frühen 14. Jahrhundert, der Siegeszug der Mongolen sei eine Folge der muslimischer Glaubensschwäche gewesen. Ibn Taymiyya hatte grossen Einfluss auf Muhammed Ibn Abd al-Wahhab, der im 18. Jahrhundert einen puritanischen Islam lehrte, der alle irdischen Vergnügungen verdammte. Sein Bündnis mit dem Stammesführer Muhammad Ibn Saud führte dazu, dass sich diese radikale Lehre grossflächig ausbreitete – die Verquickung von Wahhabismus und saudischer Clan-Herrschaft hält bekanntlich bis heute an. Auch der Zerfall des Osmanischen Reichs wurde von damaligen Gelehrten als Folge mangelnder Buchtreue gedeutet. Das Bedürfnis, sich vom zunehmend kolonialistisch gebärenden Westen abzugrenzen, wuchs, puritanische Strömungen entstanden auch ausserhalb des arabischen Raumes, der Panislamismus entstand. Susanne Schröter beschreibt detailliert die Entstehung und Ausbreitung der in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft und des Salafismus. 

Ebenfalls zeigt Schröter das Erstarken islamistisch ausgerichteter Organisationen in Deutschland, insbesondere anhand der Muslimbruderschaft sowie der von der Türkei und dem Iran gelenkten Verbände. Und sie veranschaulicht, dass nicht nur Zugewanderte, sondern auch Deutsche Konvertiten bei islamistischen Organisationen eine entscheidende Rolle spielten und spielen. Zu den frühen Akteuren gehörten beispielsweise Axel Köhler und Ahmad von Denffer, die bereits in den 1980er-Jahren für Aussenposten der Muslimbruderschaft tätig waren und von einer Gesellschaft auf Basis des Koran träumten.

Schröter beleuchtet im Buch verschiedene Konfliktzonen, insbesondere das patriarchale Wertesystem, das die umfassende Kontrolle der Frau zum Ziel hat und Gewalt an Frauen, die sich scheinbar «unislamisch» benehmen, begünstigt; religiöses Mobbing in Schulen sowie den muslimisch geprägten Antisemitismus.

Die Autorin legt an zahlreichen Beispielen dar, dass der Staat für Integrationsprojekte, oder auch um islamischen Religionsunterricht oder Imam-Ausbildungen zu organisieren, immer wieder mit höchst problematischen Organisationen zusammenarbeitet. Und sie zeigt auch auf, dass die Akteure des politischen Islam öffentliche Bemühungen, moderateren Formen des Islam zum Durchbruch zu verhelfen, gekonnt unterlaufen. So wurde beispielsweise ein Modellversuch für islamische Theologie an der Universität Osnabrück während acht Jahren staatlich unterstützt, dann aber sistiert, da die muslimischen Verbände keinerlei Interesse zeigen, die Ausgebildeten einzustellen.

Susanne Schröter will mit dem Buch aufrütteln. Sie hat aber kein Pamphlet geschrieben, sondern eine gut lesbare, sorgfältige Bestandsaufnahme. Sie belegt ihre Einordnungen mit unzähligen Verweisen auf Studien, Verfassungsschutzberichte und andere Veröffentlichungen. Der Lesefluss leidet darunter nicht, Details sind alle in die insgesamt 529 Anmerkungen am Ende des Buches ausgelagert. Die Autorin legt auch offen, wenn innerhalb der Wissenschaft unterschiedliche Einschätzungen existieren. (Um das Buch als Nachschlagewerk zu verwenden, wäre in Ergänzung zu den Anmerkungen und dem Literaturverzeichnis ein Namensverzeichnis hilfreich.)

Wer sich für die Strukturen und die Arbeitsweise des politischen Islam und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Spannungen interessiert, wird das Buch sehr schätzen.

Bei der Beschreibung der lokalen Akteure beschränkt sich Susanne Schröter – wie der Untertitel des Buches erahnen lässt – auf die islamistische Szene Deutschlands. Das Buch ist aber auch für LeserInnen aus der Schweiz oder Österreich lohnenswert. Schröters Recherchen dürfen als Aufruf verstanden werden, auch in diesen Ländern genauer hinzuschauen, wenn der Staat mit muslimischen Organisationen gemeinsame Sache macht. Denn auch in in der Schweiz und Österreich landet man schnell bei vom Ausland gelenkten Strukturen, wenn man hinter die Fassaden von Organisationen mit wohlfeil klingenden Namen schaut. 

Andreas Kyriacou

Eine gekürzte Version dieser Rezension erscheint in unserem Magazin frei denken 3/2019. Mitglieder und AbonnentInnen erhalten es am 2. September. (Für ein Gratis-Probeabo: kurzes Mail an gs@frei-denken.ch)

 

Susanne Schröter: Politischer Islam: Stresstest für Deutschland
384Seiten, Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-08299-8