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(file: @@FD-3-2012.pdf@@)Freidenker-Vereinigung der Schweiz «Forel hatte recht, wenn er sagte, das Vergnügen, durch Ironie die Metaphysik konfessioneller Mystik herabzureissen, würde auf die Dauer öde.» Hans Carl Kleiner Seite 14 3 I 2012 «Blasphemie» im «Lourdes des Ostens» «Basilika unserer guten Dame von Velankanni», Mumbai Seite 7 Kein Kruzifix-Artikel Organspende – ja oder nein! Religion und Kultur Die moralische Kraft des Menschen Rationalisten im Aufbruch Säkulare Menschenrechte Sterbehilfe – Pro und Contra Seite 4 Seite 4 Seite 8 Seite 10 Seite 12 Seite 13 Seite 14 Projekt Keshavapuram 2 2 I Inhalt Projekt Keshavapuram ........................................ 2 Reta Caspar Editorial .............................................................. 3 Top News: Statistik 2010 ..................................... 3 Kurs Rituale 2012 ................................................ 3 Schweiz/Kantone Staat und Kirche ................................................. 4 Organspende – ja oder nein! .............................. 4 FVS/ASLP Delegiertenversammlung 2012 ......................... 5 Die FVS in den Medien ....................................... 5 Reta Caspar Blasphemieverbot .............................................. 6 Andreas Kyriacou Religion und Kultur ............................................ 8 Carola Meier-Seethaler «Ich glaube an die moralische Kraft des Menschen» ................................................. 10 Andreas Kyriacou Rationalisten im Aufbruch ............................... 12 Grazia Annen Ethik ohne Gott: Säkulare Menschenrechte ... 13 Lesen ................................................................. 14 Aus den Sektionen ........................................... 15 Agenda ............................................................. 15 Adressen ........................................................... 16 «Adopt a Dalit Village» FVS-Patenschaft für Keshavapuram Die FVS bittet die Mitglieder und Sympathisanten, die gerne einen Beitrag an das humanistische Entwicklungsprojekt der IHEU leisten möchten, zu spenden auf: Postkonto 84-4452-6 Freidenker-Vereinigung der Schweiz 3001 Bern IBAN CH7909000000840044526 Vermerk: «Dalit» Ziel 2012 Fr. 4625.– Spendenbarometer 15.6.2012 Fr. 1840.– Spenden ab Fr. 100.– werden automatisch verdankt, kleinere Beiträge auf Anfrage. Prozesskosten in der Schweiz Kanton Wallis Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die fristlose Entlassung von Valentin Abgottspon. Beschwerde beim Verwaltungsgericht über die Rückerstattung der Kultussteuer an Konfessionsfreie. Kanton Tessin Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen ein Kruzifix im Schulhaus in Cadro. Alle Prozesse sind von grundsätzlicher Bedeutung und werden von der FVS finanziell mitgetragen. Wir bitten auch unsere Mitglieder nach ihren Möglichkeiten um einen Beitrag. Postkonto 84-4452-6 Freidenker-Vereinigung der Schweiz 3001 Bern Vermerk: «Prozesskosten» IBAN CH7909000000840044526 Danke! Spendenstand 15.6.2012: Fr. 10'096.– 300. Geburtstag von Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) Rousseau hat die religiöse Vereinnahmung von Kindern mit deutlichen Worten kritisiert. Aber noch heute gehört die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung seit der Taufe einer Konfession an. Die Kirchenaustritte haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen und die Einsicht, dass eine klare Trennung von Staat und Kirchen die Grundlage für eine friedliche, demokratische Gesellschaftsordnung ist, wächst vor allem unter jüngeren Leuten. Bereits 850 konfessionsfreie Menschen stehen auf unserer Kampagnenseite öffentlich zu ihrer Haltung – machen Sie mit! Tragen Sie sich jetzt auch ein auf: www.konfessionsfrei.ch Impressum Herausgeberin: Freidenker-Vereinigung der Schweiz Geschäftsstelle Postfach 3001 Bern 031 371 65 67 www.frei-denken.ch Postkonto 84-4452-6 IBAN: CH7909000000840044526 Erscheinungsweise: vierteljährlich Redaktionsschluss: 10. des Vormonats Auflage: 2000 Redaktion: Reta Caspar redaktion@frei-denken.ch Jahresabonnement: Schweiz: Fr. 30.–, Ausland: Fr. 35.– (B-Post) Zweitabonnement für Mitglieder aus der Romandie und dem Tessin: Fr. 10.– Probeabonnement: 2 Nummern gratis Korrektorat: Petra Meyer www.korrektorium.ch Druck und Spedition: Printoset Flurstrasse 93 8047 Zürich www.printoset.ch ISSN 1662-9043 97. Jahrgang Namentlich gekennzeichnete Beiträge können, aber müssen nicht mit der Ansicht der Redaktion übereinstimmen. frei denken. 3 I 2012 Top News Statistik 2010 Editorial I 3 Schweiz: Jede/r Fünfte ist konfessionfrei Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe hat das Bundesamt für Statistik die ersten Ergebnisse der «Strukturerhebung 2010» publiziert. Anstelle der traditionellen Volkszählung, die nur alle 10 Jahre stattfand und fünf Jahre zur Auswertung benötigte, wird neu jährlich eine Stichprobe von 200’000 Personen (>16 Jahre) nach ihrer Konfession befragt. Ergebnis 2010: Konfessionsfrei sind 20.1% (2000: 11.1%). Spitzenreiter ist der Kt. BS mit 42 % Konfessionsfreien, überdurchschnittlich hoch sind die Anteile auch die Kantone NE 37%, GE 35%, VD 26%, SO 24% und ZH 22%. Mehr als verdoppelt hat sich der Anteil der Konfessionsfreien in katholischen Kantonen, z. B.: AI +172%, OW +166%, VS +162%, SZ +161%. Laizität ist zeitgemäss Die ewiggestrigen – mehr oder wahrscheinlich sogar auch immer weniger – religiös praktizierenden Traditionalisten mussten eine schmerzhafte Niederlage einstecken: Die Bundesverfassung wird nicht christlicher, die «christlichabendländische Leitkultur» ist in der Schweiz nicht mehrheitsfähig. Das offensichtliche Missverhältnis zwischen gelebter landeskirchlicher Religiosität und dem kirchlichen Anspruch auf Erhalt von überlebten Privilegien wirkte sich im sonst als konservativ berüchtigten Ständerat bereits aus. In der Presse war das Aufbäumen der Katholiken für ihre Kreuze und der Reformierten für ihre «Werte» ausserhalb der Zentralschweiz kaum ein Thema. Die Frage, wie stark der vom Europäischen Menschengerichtshof im Fall Lautsi gegen Italien unterstützte Föderalismus diese Entwicklungen behindern darf, wird sich in der Schweiz am Fall Abgottspon im Wallis und am Fall Cadro im Tessin erweisen müssen. So oder so wird es in Zukunft darum gehen, unzeitgemässe Gesetze im Bereich der Finanzierung der Landeskirchen ersatzlos zu streichen, unzeitgemässe Ruhevorschriften aufzuheben, unzeitgemässe Praktiken wie die Auslagerung von Staatsaufgaben an religiöse Institutionen aufzugeben. Auch anderswo zeigt sich das Schwächeln der Landeskirchen: Das Publikum der traditionellen Übertragung von Gottesdiensten auf SF1 ist so drastisch geschrumpft, dass sich die kirchlichen Medienstellen schnell etwas Neues überlegen wollen, bevor die Sendungen ersatzlos gestrichen werden. Angesichts der Austrittszahlen und der Überalterung der Kirchen wird dieser Prozess irreversibel sein und sich wohl sogar noch verstärken. Als nationaler Sender hat SRF den Auftrag, die kulturellen Werte der Schweiz zu stärken. Wenn die Kirchen aber kulturell dermassen an Bedeutung verlieren, muss auch der Auftrag des Service public bezüglich der «Landeskirchen» überdacht werden. Das Gleiche gilt für das Thema Religion an den Volksschulen: Angesichts der tatsächlich gelebten Realität kann der unzeitgemässe Anspruch von christlicher Seite, im Rahmen von Fächern wie «Religion und Kultur» eine vorrangige Rolle zu spielen, nicht durchdringen. Angesichts der massiven Verluste der Kirchen interessiert sich die Presse vermehrt auch für die Entwicklungen bei den zeitgemässeren Konfessionsfreien und Skeptikern. Während die Schweizer Medien das Denkfest 2011 der FVS noch praktisch ignorierten, war das Echo auf die internationalen Kongresse in Deutschland schon deutlich stärker. Dabei wird es für die Bewegung entscheidend sein, wie geeint sie die vorrangigen Ziele der Trennung von Staat und Kirche, der Stärkung der Redefreiheit und des Schutzes von Kindern vor religiöser Indoktrination angehen und wie geschickt sie mit der Realität der weltanschaulichen Differenzierung in politischen und sozialen Fragen umgehen können. Es muss gelingen – im ganzen deutschsprachigen Raum, aber auch in der Schweiz –, alte Gräben zwischen «links» und «rechts» in der Bewegung zu überbrücken und damit unzeitgemässe Animositäten zu begraben. Dabei ist im Auge zu behalten: Laizität ist die zeitgemässe Grundlage für den freien Wettbewerb der wissenschaftlichen und politischen Argumente, aber sie ist kein politiReta Caspar sches Programm. Grafik FVS, Daten BfS Kurs Weltliche Rituale Sonntag, 25. November 2012 9:30–16:00 Uhr in Olten Immer mehr Menschen suchen nach weltlichen Ritualen. Sie in einer besonderen Lebenssituation zu begleiten, ist eine schöne Aufgabe. In allen Sektionen werden weitere RitualbegleiterInnen gebraucht. Der Kurs bietet eine Einführung, die den Einstieg in die Tätigkeit ermöglicht. Zusätzlich wird auf Wunsch eine Begleitung durch eine erfahrene Person angeboten. Die Vertiefung erfolgt in jährlichen Weiterbildungsangeboten. Kursleitung: Reta Caspar, Ritualbegleiterin seit 2001 Kurskosten: Fr. 150.– (inkl. Kursunterlagen und Kaffee/Gipfeli/ Mineral. Lunch bringt jede/r selber mit.) Anmeldung: Einzahlung des Kursgeldes auf das Konto der FVS: PC 84-4452-6, Vermerk «Ritualkurs» Auskünfte: Geschäftsstelle FVS 031 371 65 67 gs@frei-denken.ch www.frei-denken.ch «Rituale» frei denken. 3 I 2012 4 I Schweiz Kein Verfassungsschutz für «landeskirchliche» Symbole und Mythen Der Nationalrat hatte in der März-Session die parlamentarische Initiative von CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann (LU) zum Schutz von christlichen Symbolen im öffentlichen Raum mit 87 zu 75 Stimmen (total 200 Sitze) gutgeheissen. Der Schulterschluss von Religiösen und anderen Traditionalisten hat dort funktioniert. Der Ständerat lehnte das Ansinnen am 11. Juni mit 21 gegen 18 Stimmen ab (46 Sitze), dort dürfte das föderalistische Argument überwogen haben mit der Befürchtung, dass in laizistischen Kantonen plötzlich ein Recht auf religiöse Symbolik im öffentlichen Raum gelten würde. In beiden Räten war die Abstimmung von vielen Abwesenheiten geprägt. Zusammen mit der gleichzeitig von beiden Räten klar abgelehnten Basler Standesinitiative für einen neuen Religionsartikel bedeutet dies im Ergebnis das klare Scheitern der «landeskirchlichen» Versuche, angesichts der landesweit beklagten Kirchenaustritte noch schnell ihrer behaupteten «christlichen-abendländischen Leitkultur» in der Schweiz lang anhaltenden Verfassungsrang zu verschaffen. Der Kampf wird nun auf Kantonsebene weitergehen. Das bedeutet für die FVS mühsame Kleinarbeit. In allen Kantonen müssen die Informationen beschafft und Personen gefunden werden, die rechtliche Schritte zur Klärung der verschiedenen Missstände ergreifen, und vor allem müssen politische Vorstösse und Initiativen lanciert werden, um die gesetzlichen Missstände zu beheben. des Bundesgerichtsentscheids von 1990 im Fall Cadro steht. Nach dem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stellt sich die Frage, ob das Bundesgericht ebenfalls auf eine föderalistische Interpretation der Religionsfreiheit schwenkt oder ob die höchsten Richter den Vorrang dieses Grundrechts vor kantonalem Recht und Brauch bestätigen. Die FVS braucht also weiterhin einen langen Atem und mehr und vor allem aktive Mitglieder, welche nahe an den kantonalen Realitäten die Projekte vorantreiben – geschenkt wird uns nichts. In den Kantonen Kt. AG Kirchen wollen weniger Datenschutz Die Kirchen erheben Anspruch auf Mitteilung von Name und Adresse von Angehörigen ihrer Glaubensgemeinschaft, die sich in Spitälern aufhalten. Die FVS hat mit einer Medienmitteilung reagiert: Der Datenschutz im Spital ist zu gewährleisten, und kranken Menschen ist es nicht zuzumuten, einen unerwünschten Besuch der Spitalseelsorge am Spitalbett abzuwehren. Föderalismus versus Grundrechte Kt. BS/BL Streit um Schwimmunterricht eskaliert Am Fall Abgottspon im Wallis und am wieder neu akuten Fall Cadro im Tessin wird sich zeigen müssen, wie es um den Bestand Der Streit um den obligatorischen Schwimmunterricht eskaliert. Muslime werfen den Behörden beider Basel Rassismus vor. Die Schwimmbussen führen derweil zur Solidarisierung unter Muslimen der Region. Kt. BE Systemwechsel bei Pfarrlöhnen? News KIOS warnt vor «säkularem Radikalismus» Farhad Afshar (Präsident von KIOS, der nicht wirklich bezifferbaren Koordination Islamischer Organisationen Schweiz) solidarisierte sich mit den «naiven» Koranverteilern in der Schweiz, warnte vor «säkularem Radikalismus» und benutzt die Angst vor den islamistischen Hintermännern der Aktion, um die staatlich finanzierte Imam-Ausbildung einzufordern. Grossrat Adrian Wüthrich (SP) will, dass Pfarrlöhne künftig über die Kirchensteuern finanziert werden. Via Motion verlangt er einen Bericht. Der Regierungsrat will das nicht, gibt aber zu, dass ein neues Gutachten aufzeigt: Juristisch ist das System nicht in Stein gemeisselt, die Politik ist gefordert. Die «Landeskirchen» und die Jüdischen Gemeinden warnen den Grossen Rat, das sei «finanziell abenteuerlich» – bessere Argumente haben sie offenbar keine. Bern: Motion für die Einhaltung der Grundrechte Romandie: Missbrauchsopfer wehren sich Sapec, die Unterstützungsgruppe für Personen, die durch Priester missbraucht wurden, fordert die Schaffung einer unabhängigen Westschweizer Untersuchungskommission. In einem von der Zürcher Heilsarmee im Leistungsauftrag betriebenen Behindertenheim wurde kürzlich ein Kadermitglied entlassen, weil sie zu ihrer lesbischen Partnerschaft stand. Die Motionäre Michael Köpfli und Claude Grosjean (GLP) verlangen nun vom Berner Gemeinderat, künftig keine Verträge mit Leistungsvertragspartnern abzuschliessen, deren Personalpolitik der rassistische, xenophobe, sexistische oder homophobe Elemente enthalten. Mission am Schweizer Fernsehen? Kt. LU Muslimische Gräber kaum gefragt Weil Gottesdienste im Deutschschweizer Fernsehen immer weniger Zuschauer finden, wird derzeit von den Medienverantwortlichen der «Landeskirchen» ein Konzept für ein neues Format erarbeitet. «In Kooperation soll eine modern produzierte Sendung entstehen, die das Gottesdienst-Feiern auch für Menschen verständlich und zugänglich macht, die selten oder gar nicht in die Kirche gehen» – logisch wäre aber eigentlich die Streichung der Selbstdarstellung der christlichen Konfessionen und dafür mehr Reflexion über die wirklichen kulturellen Werte des Landes. 2008 erstellte die Stadt Luzern auf dem Friedental-Friedhof ein muslimisches Grabfeld, doch die Nachfrage bleibt aus. Luzern: Sterbehilfe in städtischen Altersheimen Der Luzerner Stadtrat lehnte eine Volksmotion ab, die ein Verbot der Suizidhilfe forderte. Die neuen Regeln zum Umgang mit der Beihilfe zum Suizid tragen dem Selbstbestimmungsrecht der Pflegebedürftigen Rechnung. Kt. SH Kürzung der Staatsbeiträge? Organspende – ja oder nein! Komapatienten müssen neu damit rechnen, dass man ohne ihr Einverständnis vorbereitende Eingriffe für eine Organentnahme an ihnen vornimmt. Eine Gesetzesänderung ist vorbereitet. Die FVS empfiehlt dringend, die Selbstbestimmung zum Thema Organspende wahrzunehmen. Dabei sollte im Interesse der Angehörigen der Entscheid vollumfänglich selber getroffen und nicht (oder nur nach eingehender Absprache) auf jene abgeschoben werden. Ein entsprechender Ausweis kann online ausgefüllt und ausgedruckt werden. www.swisstransplant.org. Der Schaffhauser Regierungsrat will ab 2014 den Staatsbeitrag an die «Landeskirchen» von rund 4 Millionen auf 3 Millionen Franken senken und auf die Indexierung verzichten. Die Reformierten, sie bilden die grösste der drei Schaffhauser «Landeskirchen», wären am stärksten betroffen. Kt. SZ Bristen: Gipfelkreuz zum Zweiten 2008 wurde aufgrund einer Beschwerde der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz ein 9 Meter hohes Gipfelkreuz nicht bewilligt. Nun liegt ein Baugesuch für ein 3,45 Meter hohes Kreuz auf. Landschaftsschutzorganisationen haben wiederum Einsprache erhoben. frei denken. 3 I 2012 FVS / ASLP I 5 Delegiertenversammlung 2012 Nur 49 von 74 eingeladenen Delegierten nahmen an der DV am 3. Juni 2012 in Olten teil. Sie vertraten dank Doppelmandaten rund 78 Prozent der möglichen Stimmen. Zur Auszählung kam es allerdings nicht. Die statutarischen Geschäfte wurden praktisch ohne Gegenstimmen genehmigt. Der Zentralvorstand gab den Delegierten zusätzlich zum schriftlich abgegebenen Jahresbericht einen Einblick in das Denkfest 2011 und dessen Evaluation. In der anschliessenden Diskussion kamen weitere positive Rückmeldungen von Delegierten, die selber daran teilgenommen hatten. Andreas Kyriacou kündigte die diesjährige Fortsetzung in Form eines eintägigen DenkfestSpezials zum 300. Geburtstag von Jean-Jacques Rousseau am 16. September in Zürich an. Der Zentralvorstand orientierte über die neue Kampagne zu den kantonalen Wahlen und auch sonst kam vor allem Aktuelles und Künftiges zur Sprache. Per Akklamation wurden die Präsidenten der Sektionen Zürich, Andreas Kyriacou (Ersatz für den zurückgetretenen Rafael Vogt), und Wallis, Valentin Abgottspon, in den Zentralvorstand gewählt. Beide sind bekannte Persönlichkeiten, welche die FVS bereits seit mehreren Jahren in der Öffentlichkeit wirksam vertreten und nun auch den nationalen Vorstand verstärken werden. Der Zentralvorstand erläuterte den Delegierten den in den nächsten drei Jahren anstehenden Wechsel an der Spitze der FVS und forderte sie auf, in den Sektionen geeignete Persönlichkeiten für das Präsidium, die Zentralkasse und die Geschäftsstelle zur Kandidatur zu motivieren. Die derzeit Amtierenden sind gerne bereit, ihre Nachfolgenden nach Bedarf bei der Einarbeitung zu unterstützen und so einen Übergang mit möglichst wenig Informationsverlust zu gewährleisten. Prof. Dr. Simone Zurbuchen, Gastreferentin an der DV 2012 in Olten Neue Mitglieder im Zentralvorstand «Würde und Beleidigung: Grenzen der Toleranz in der multikulturellen Demokratie» Am Nachmittag legte die Philosophin Prof. Dr. Simone Zurbuchen dar, dass aus den Argumenten der Aufklärung für die heutige Debatte wenig zu gewinnen ist, weil es damals um die Redefreiheit einer Elite ging. Mit Verweis auf den niederländischen Theologen Jean-Pierre Wils führte sie aus, dass der Begriff der Gotteslästerung aus «archaischen Kulturen der Ehre» stammt, die damit Angriffe auf die sozialen Stände und die politische Obrigkeit abstrafen. Zeitgemäss seien die Formulierungen in den Antirassismus-Gesetzen in den europäischen Ländern (in der Schweiz: Art. 261bis StGB), die in einer «Kultur der Menschenwürde» entstanden seien. Das Referat wurde mit Interesse aufgenommen, die Delegierten nahmen rege Anteil an der Diskussion. Frau Zurbuchen wird den interdisziplinären Lehrstuhl an der Uni Fribourg demnächst verlassen, sie wurde an die Uni Lausanne berufen. rc Danke! >> In den Kantonen Die FVS in den Medien 14.03.2012 – 18.6.2012 DRS 2 Kontext 18.6.2012 Kt. SG Keine Kürzung der Kirchenbeiträge Zürcher Schulfach «Religion und Kultur» Andreas Kyriacou TV Kanal9 11.6.2012 Reformierte und Katholiken im Kanton St. Gallen waren erleichtert: Der SVP-Antrag, die Ausgleichsbeiträge an die beiden anerkannten Konfessionen um je 2,5 Millionen Franken im Jahr zu senken, wurde abgelehnt – vielleicht kommt nächstes Jahr wieder ein Antrag? Christliche Symbole schützen? Valentin Abgottspon Radio France Culture 10.6.2012 Aspects de la pensée contemporaine Valentin Abgottspon 20 Minuten 9.6.2012 Kt. UR Dienstleistung statt Gemeinnützigkeit Der katholische Landeskirchenrat will eine Gebührenordnung für Dienstleistungen einführen, die zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern unterscheidet. Die katholische Kirche im Kanton Uri hat letztes Jahr rund 4 Prozent Mitglieder verloren und braucht neue Einnahmequellen – dafür gibt sie ihre Gemeinnützigkeit auf. Die Crux mit den öffentlichen Kreuzen Reta Caspar NZZaS 3.6.2012 Urner Gipfelkreuz weckt Widerstand Reta Caspar work 24.5.2012 Heuchler-Armee Reta Caspar Bote der Urschweiz 23.5.2012 Kt. VD Sterbehilfe: Gegenvorschlag angenommen In der Abstimmung war die von der FVS-Sektion VD unterstützte Exit-Initiative chancenlos. Neu wird der Freitod in Altersheimen und Spitälern zwar zugelassen, aber ausschliesslich für Menschen, die an einer schweren und unheilbaren Krankheit leiden – die ExitInitiative hatte eine generelle Zulassung angestrebt. Religion als Integrationsmotor Leserbrief Grazia Annen Bund 22.5.2012 Pfarrerlöhne aus Kantonssteuern – eine Verletzung der Religionsfreiheit Leserbrief Anne-Marie Rey Zürcher Tagblatt 16.5.2012 Kt. ZH Interpellation zur Heilsarmee-Affäre Andachtsraum im Hardturm-Stadion Andreas Kyriacou NZZ 7.5.2012 Nach der Entlassung einer lesbischen Mitarbeiterin eines Heimes der Heilsarmee fragen SP- und FDP-Parlamentarier den Regierungsrat, wie er die Einhaltung der Grundrechte bei kantonal finanzierten, privaten Institutionen sicherstelle und ob er die Meinung teile, dass bei Platzierungen von Kindern neben der Einhaltung des pädagogischen Konzepts insbesondere auch die freiheitliche Entwicklung jedes Individuums gewährleistet sein müsse. Harsche Kritik an geplanter Stadion-Kirche Andreas Kyriacou Rhonezeitung 13.4.2012 Gegen Sonderstellung von christlichen Symbolen Valentin Abgottspon Neue Luzerner Zeitung 13.4.2012 Sie feiern eigentlich das Wiedererwachen der Natur Leserbrief Grazia Annen zur «Auferstehungsfeier» von Hazy Osterwald Neue Luzerner Zeitung 14.3.2012 Schulfach «Religion und Kultur» in der Kritik≠ Das erste Lehrmittel zum neuen, obligatorischen Schulfach ist erschienen. Fazit von Andreas Kyriacou: Note ungenügend. >> S. 8 Parlamentarische Initiative Glanzmann Leserbrief Grazia Annen Rote Annelise Februar 2012 frei denken. 3 I 2012 Katholisch wider Willen Mélanie Hartmann, Valentin Abgottspon news.ch Wöchentliche Freidenker-Kolumne V. Abgottspon und R. Caspar 6 I Blasphemieverbot Einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt, [...] wird mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft. Blasphemieverbote europa- und weltweit Während im Mittelalter die Gotteslästerung in Europa noch ein Kapitalverbrechen war, wurde die Bestrafung im Lauf der Aufklärung deutlich reduziert und wurden die Tatbestände zwar nur in einzelnen Ländern abgeschafft, aber in der Mehrheit wenigstens kaum mehr angewandt. Zudem hat sich im Massstab und im Kontext von neueren Tatbeständen das Schutzobjekt verändert: Unter demokratischen Verhältnissen ist nicht der «Gott» geschützt, sondern der öffentliche Friede in einer religiös-konfessionell und kulturell pluralistischen Gesellschaft und die Würde des einzelnen Menschen und seine Religions- und Meinungsfreiheit. Massstab ist deshalb auch nicht das subjektive Empfinden der Betroffenen, sondern das objektive Urteil eines durchschnittlichen, auf Toleranz bedachten Dritten. In der Schweiz wird dies durch den – ebenfalls nicht unumstrittenen – Antirassismusartikel abgedeckt. In der Schweiz, in Deutschland, Österreich, Norwegen, Spanien und Portugal existiert der Straftatbestand der Blasphemie immer noch. In Dänemark haben 2005 muslimische Verbände wegen der Mohammed-Karikaturen Klage auf Blasphemie eingereicht, wurden aber mit Verweis auf die Redefreiheit abgewiesen. In Griechenland wurde 2005 auf Anzeige der orthodoxen Kirche hin der deutsche Karikaturist Haderer wegen Verletzung religiöser Gefühle mit einer Karikatur eines kiffenden Jesus zu sechs Monaten Haft verurteilt, kurz darauf vom Berufungsgericht aber freigesprochen. In den Niederlanden wurde 2008 die Blasphemieklage gegen Geert Wilders Film Fitna von der Staatsanwaltschaft fallen gelassen. In Finnland hingegen wurde 2008 ein Rechtspopulist zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt, u. a. wegen Blasphemie zulasten des Islams in seinen Blogs. In Italien schützte das Strafgesetz von 1930 die katholische Kirche stärker vor Beschimpfung als andere Bekenntnisse. 2006 erst wurde diese Rechtsungleichheit beseitigt. Frankreich und Schweden kennen seit Langem keinen Blasphemie-Tatbestand mehr. In England wurde er 2008 abgeschafft; im mehrheitlich katholischen Irland hingegen im Juli 2009 – unter grossem Protest – neu eingeführt. In den ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas wurden seit der Wende Straftatbestände eingeführt, die in etwa dem Schweizer Antirassismus-Artikel entsprechen. In der seit 1928 laizistisch verfassten Türkei sieht sich derzeit gerade ein Pianist dem Verdacht auf «Volksverhetzung» ausgesetzt, weil er via Twitter abschätzige Bemerkungen über einzelne Koranverse gemacht hat. Im säkularisierten Europa wird der besondere Schutzanspruch der religiösen Bekenntnisse und ihrer Hüterinnen also faktisch kaum mehr anerkannt. In der Regel sind es traditionalistische Katholiken, die sich darauf berufen und hin und wieder in erster, regionaler Instanz auch Recht bekommen, in der Regel aber – auch im notorisch bekannten Polen – vor den höheren Gerichten scheitern. In den USA hat der oberste Gerichtshof Blasphemiegesetze der Bundesstaaten mehrfach für verfassungswidrig erklärt: Er misst der Redefreiheit allerhöchste Priorität zu. Kanada hingegen hat eine lange Tradition der Einschränkung der Redefreiheit zugunsten seiner Multikulturalität. Die Empfindlichkeiten in anderen Gegenden der Welt nehmen aber zu. In den Staaten mit islamischer Staatsreligion kann die «Gotteslästerung» je nach Scharia-Auslegung mit dem Tod bestraft werden, so etwa in Saudi-Arabien, Afghanistan, Iran und Pakistan. In Kuweit wird die Einführung der Todesstrafe für Blasphemie derzeit diskutiert und Jordanien hat 2005 sogar den dänischen Karikaturisten nach jordafrei denken. 3 I 2012 Art. 261 unseres Strafgesetzbuches (StGB) wurde in der Schweiz nach langer Zeit wieder einmal angewandt: auf einen Mann, der im Fribourgischen drei Gipfelkreuze umlegte und damit eine Diskussion über die Beeinträchtigung der Natur durch solche Bauten anregen wollte. Objektiv betrachtet hat er drei Sachen beschädigt. Das hat er auch anerkannt und aussergerichtlich Schadensersatz geleistet. Doch der Richter in Bulle wollte das partout auch noch anders sehen: «Ein Kreuz ist ein religiöses Symbol, auch wenn es nicht zu Kultushandlungen benutzt wird.» Er bestätigt damit, dass das Kreuz auf dem Gipfel keine kultische Funktion hat, behauptet aber gleichzeitig, es sei trotzdem nicht einfach nur eine Sache, sondern eine religiöse Sache und deshalb unantastbar. In der Frage, ob ein Kreuz ein religiöses Symbol sei, sind sich die Religiösen allerdings keineswegs einig: Geht es um Kruzifixe in Schulzimmern und anderen öffentlichen Räumlichkeiten, wird von kirchlicher und christpolitischer Seite regelmässig behauptet, das Kreuz sei kein religiöses, sondern lediglich ein kulturelles Symbol, weshalb es die Religionsfreiheit von Anders- oder Nichtgläubigen nicht beeinträchtige. Dann wäre aber ein Gipfelkreuz wohl auch nicht mehr durch Art. 261 StGB zu schützen. Soll ein Richter darüber entscheiden, was als religiös und deshalb für alle als heilig zu gelten hat? Welche Kriterien hat er da zur Verfügung? 1994 stellte das Bundesgericht fest, Art. 261 StGB wolle die Verletzung religiöser Überzeugungen des Einzelnen unter Strafe stellen, allerdings nur jene, die so schwerwiegend ist, dass dadurch zugleich der öffentliche Friede gefährdet wird. Öffentlicher Friede gefährdet? War da was? Es ist geradezu absurd zu behaupten, in einer Zeit, in der 64 Prozent der Menschen ein distanziertes Verhältnis zur Religion haben, sei der öffentliche Friede durch das Beschädigen von gekreuzten Holzlatten auf einem Berggipfel in Gefahr gewesen. Das Urteil ist willkürlich und entlarvt das Wesen von Blasphemieartikeln: Sie dienen dazu, unliebsame Leute doppelt zu bestrafen – nicht nur für das Beschädigen einer Sache, sondern dafür, dass sie nicht die gleiche Sache verehren. Strafe muss sein, aber welche? Schon der Enzyklopädist Denis Diderot stellte 1750 fest: «Da Sakrilege gegen die Religion verstossen, muss die Bestrafung der Schuldigen einzig und allein aus dem Wesen der Sache selbst abgeleitet werden; sie muss in der Entziehung der Vorzüge bestehen, welche die Religion verschafft.» Darüber hinaus stellt das Strafgesetz Betroffenen verschiedene Tatbestände zum Schutz der Persönlichkeit oder des Eigentums zur Verfügung. Art. 261 StGB hingegen ist nur aus den konfessionellen Kämpfen im 19. Jahrhundert zu verstehen, als es galt, die gegenseitigen Schikanen zwischen Katholiken und Reformierten zu unterbinden. Aber der strafrechtliche Schutz religiöser Überzeugungen ist heute nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich: Er lädt nämlich die Gläubigen aller Couleur ein, sich beleidigt zu fühlen und Andersdenkende anzuzeigen; und er verleitet stürmische Religionskritiker dazu, blasphemisch zu agieren und damit zu provozieren – den öffentlichen Frieden setzt er heute also geradezu aufs Spiel. Die aktuellen Debatten um Religion und Satire zeigen: Eine Gesellschaft, in der Blasphemie justiziabel ist, geht hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurück, weil sie nicht das bessere Argument, sondern die Empörung der Beleidigten gewinnen lässt. Dieser Meinung ist auch der Theologe Jean-Pierre Wils. In seinem Buch «Gotteslästerung» (2007) zeigt er auf, dass der Begriff der Gotteslästerung aus «archaischen Kulturen der Ehre» stammt, die damit Angriffe auf die sozialen Stände und die politische Obrigkeit abstrafen. Zeitgemäss seien die Antirassismus-Artikel in den europäischen Ländern (in der Schweiz: Art. 261bis StGB), die in einer «Kultur der Menschenwürde» entstanden seien. Es ist also Zeit, höchste Zeit, dass in der Schweiz der Blasphemieartikel aufgehoben und damit der antiaufklärerische Staub vor der eigenen Tür weggewischt wird, weil er unserer Vorstellung von Menschenwürde und Freiheit zuwiderläuft und weil wir erst dann glaubwürdig Kritik an Ländern üben können, in denen Blasphemie nicht nur als Vergehen, sondern als Verbrechen gilt und sogar mit der Todesstrafe bedroht ist. Erstabdruck auf news.ch 7.6.2012 Reta Caspar Blasphemieverbot I 7 Katholiken gegen Freidenker «Blasphemie» – Kampf gegen die Aufklärung Der indische Freidenker Sanal Edamaruku tauchte im März mit einem Fernsehteam bei der römisch-katholischen «Basilika unserer guten Dame von Velankanni» auf. Der Tempel, nach einer «Marienerscheinung» benannt, geniesst den Ruf als «Lourdes des Ostens». Mehr als zwei Millionen Pilger kommen alljährlich hierher. Vor einiger Zeit kam ein weiteres Wunder hinzu: Vom Fuss der Jesus-Statue tropfte Wasser. Als das publik wurde, kamen noch mehr Pilger mit Behältern, um das «heilige Wasser» mit nach Hause zu nehmen. Sanal Edamaruku stellte schnell fest, dass das Wasser aus einer lecken Abwasserleitung stammte. Gleichzeitig beobachtete er aber, wie ein Priester nebenan das in einem Eimer aufgefangene Wasser als Wunderwasser anpries und an die Leute verteilte. Ihm selber hingegen wurde eine Wasserprobe für weitere Analysen verwehrt – dabei könnte sich das Abwasser sogar als Gesundheitsrisiko für die Gläubigen erweisen! Überraschend dann aber der Aufruhr, der auf seine per TV verbreitete einfache Erklärung des «Wunders» folgte: In mehreren TV-Debatten trat Edamaruku gegen Vertreter der katholischen Kirche an. Argumentativ stand sie – auch der zuständige indische Bischof – auf verlorenem Posten. Und so setzt sie für einmal nicht auf Eloquenz und theologische Nebelpetarden, sondern versuchte es mit Winkelzügen wie «die Kirche hat das Wunder gar nicht offiziell anerkannt» und spielte im Übrigen auf der Klaviatur der Beleidigten: Sie drohte unverhohlen mit juristischen Konsequenzen, falls Edamaruku den Vorwurf, die katholische Kirche beute die Leichtgläubigkeit der Menschen aus, nicht zurücknehmen und sich entschuldigen würde. Damit entsteht ein Widerspruch zum derzeitigen Papst, der sich im Februar dieses Jahres gegen die Blasphemiegesetze in Pakistan ausgesprochen hatte – natürlich weil dort Katholiken betroffen sind. Selber macht sich die katholische Kirche die Hände nicht mit einer Klage schmutzig. Sie überlässt das stolz ihren Fundamentalisten: Das «Catholic Secular Forum», die «Association of Concerned Catholics» und das «Maharashtra Christian Youth Forum» haben im April 2012 Anzeige nach § 295a des indischen Strafgesetzbuchs erstattet. 6 >> Blasphemieverbote weltweit Edamaruku sieht das Verfahren vor allem als Chance, dafür zu sorgen, dass Indiens Blasphemiegesetz endlich aufgehoben werde. Er beruft sich seinerseits auf die indische Verfassung, die im Art. 51 statuiert, es sei die Pflicht jedes Bürgers und jeder Bürgerin, Wissenschaftlichkeit und einen offenen Geist zu fördern. Mit seiner Aufklärungsarbeit erfülle er also seine Bürgerpflicht. Gleichzeitig ruft er aber auch die katholische Kirche dazu auf, Indien nicht ins Mittelalter zurückzuführen. Auf die indische Justiz kann er sich jedoch nicht verlassen. Sein Antrag auf provisorische Freilassung gegen Kaution wurde abgelehnt, weil die Polizei in Mumbai keine schriftliche Bestätigung der Anzeigen herausrücken will, sondern von Edamaruku verlangt, dass er sich zuerst stellt. Da ihm nun Haft droht, hält er sich an einem unbekannten Ort auf – begleitet von der Angst, dass katholische Fanatiker nicht auf das juristische Verfahren setzen, sondern zur Selbstjustiz greifen könnten. Internationale Unterstützung Edamarukus Fall erhält internationale Unterstützung: Die Organisation «Rationalist International» hat ein «Sanal Edamaruku Verteidigungskomitee» ins Leben gerufen, dem anerkannte Menschenrechtsspezialisten angehören, und die britischen Rationalisten haben eine Online-Petition gestartet, in welcher der Erzbischof von Mumbai aufgefordert wird, den Rückzug der Anzeigen zu erwirken. rc Petition/Onlinespende auf www.rationalistinternational.net oder auf Postkonto 84-4452-6 Freidenker-Vereinigung der Schweiz , 3001 Bern IBAN CH7909000000840044526 Vermerk: «Edamaruku» nischem Recht angeklagt. Im Karikaturenstreit zeigte sich auch die Unsinnigkeit solcher Beleidigten-Gesetze in einer globalen Welt und in Zeiten des Internets, wo jedermann jederzeit etwas findet, das ihn beleidigen könnte. Auch in Asien und Afrika werden – zum Schutz der religiösen Gefühle der Anhänger der jeweiligen monotheistischen Mehrheitsreligion – Gesetze gegen Blasphemie errichtet. In Indonesien wurde kürzlich ein Atheist zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er auf Facebook kundgetan hat, dass es keinen Gott gebe. Im Hinduismus Indiens war die Blasphemie unbekannt, bis die Briten sie 1860 als Straftatbestand einführten. Aktuell versuchen aufgebrachte Katholiken den Aufklärer Sanal Edamaraku wegen seiner Aussagen zu einem ihrer «Wunder» vor Gericht zu bringen. rc frei denken. 3 I 2012 Sanal Edamaruku (*1955) ist ein indischer Bürgerrechtler, Gründer der Organisation «Rationalist International» sowie Präsident der «Indian Rationalist Association», einem Skeptikerverband mit 100´000 Mitgliedern. Es war ein Erlebnis in seiner Nachbarschaft, das Edamaruku zum Anwalt der Vernunft werden liess: Als er zwölf Jahre alt war, wurde bei einer jungen Athletin Leukämie diagnostiziert. Weil sie einer christlichen Gruppierung angehörte, für die Blut-Transfusionen als Sünde gelten, weil nur Gebete heilen können, starb sie. Nach dieser erschütternden Erfahrung begann er, lokale Veranstaltungen der Rationalisten zu besuchen und gründete mit 15 eine freidenkerische Jugendgruppe. Bereits während seines Studiums der Politologie begann er, Aberglauben zu entzaubern und Scheinheilige zu entlarven. Edamaruku lebt von den Einnahmen aus seinen schon über 20 Büchern, sowie von Vorträgen u. a. an Schulen und in Wissenschafts-Camps für Kinder. Seit er vor 17 Jahren das «Wunder der milchtrinkenden Elefantenstatue Ganesha» physikalisch erklären konnte, ist er in Indien ein gefragter Mann, wenn es darum geht, bestaunte Phänomene rational zu erklären. In kostenfreien Workshops entlarvt er die Tricks der herumreisenden Magier, welche die Leute manipulieren und abzocken, und bildet jährlich über 100 Interessierte darin aus, selber solche Workshops anzubieten. Für Aufsehen sorgte 2008 ein TV-Auftritt, bei dem er einen Tantriker aufforderte, ihn mit Magie zu töten. Als dies fehlschlug, äusserte der Tantriker die Vermutung, Edamaruku stünde unter dem Schutz eines kraftvollen Gottes. Darauf entgegnete Edamaruku, er sei Atheist. 2011 war Edamaruku Gast am Zürcher Denkfest und berichtete über den Fall von Prahlad Jani, der behauptet, er komme seit Jahrzehnten ohne Nahrung aus. 89 I «Kultur und Religion» Schulbuch «Blickpunkt» Note ungenügend Seit Mai ist es nun verfügbar, das erste Schulbuch aus der Blickpunkte-Serie zum Zürcher Schulfach «Religion und Kultur». Das Ergebnis ist ernüchternd. Optisch kommt es gefällig daher, das Unterstufenlehrmittel «Blickpunkt 1», welches der Lehrmittelverlag Zürich in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Zürich entwickelte. Dazu tragen die Illustrationen von Julien Gründisch und Marion González wesentlich bei. Ergänzt wird das Schülerbuch durch einen Arbeitsordner, einen Kommentarband für die Lehrpersonen, Materialien auf CD und zwei Poster, wovon das erste die fünf im Fach porträtierten Religionen in Schaukästen darstellt und das zweite mit einer etwas kruden Strassenszene aufzuzeigen versucht, dass religiöse Symbole im Alltag scheinbar allgegenwärtig sind. Das Entdecken von religiösen Symbolen bildet denn auch den Einstieg, das erste Kapitel heisst entsprechend «Was ist das?». So wird unter anderem zwischen dem Wirtshausnamen «Sternen» und der Weihnachtsgeschichte eine Verbindung hergestellt und auch eine «Paradiesstrasse» wird bemüht, um das Durchdringen des Alltäglichen durch das Religiöse zu illustrieren. «Kinder», «Alltag», «Feste» und «Tiere» lauten die weiteren Kapitel. Im Gegensatz zu frühen Entwürfen darf man dem Schülerbuch zubilligen, dass es über weite Strecken stufengerecht daherkommt, der Stoff also ans Alter der Schülerinnen und Schüler angepasst ist, vieles dadurch vereinfacht und verkürzt dargestellt wird, was aber bei einem Buch, das sich an Sieben- bis Neunjährige1 richtet, unumgänglich ist. Bild aus «Blickpunkt 1», Die Geschichte von der Arche (S. 110) Die Kinder sollen deshalb Begriffe und charakteristische Merkmale der grossen religiösen Traditionen kennen und einordnen können und wahrnehmen, «wo Religion in Kultur und Gesellschaft vorkommt». Und sie sollen erste Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben, «um sich mit Menschen mit verschiedener Überzeugung und Weltanschauung, mit Menschen anderer Religionen und Kulturen verständigen und deren Lebens- und Werthaltungen respektieren zu können». Während zweier Jahre konnten die Macher trotz beständiger Nachfrage nicht beantworten, welche Kompetenzen mit dem Fach gefördert werden sollten. Der doch noch erfolgte Einschub mag auf den ersten Blick passend klingen, er entlarvt aber letztlich die vorgesehene Einseitigkeit. Selbstredend ist es richtig, dass ein elementares Grundlagenwissen über Religionen zu einem besseren Weltverständnis verhilft. Doch ohne elementares Wissen über die Antike ist beispielsweise unser Rechts- oder unser Staatsverständnis auch nur teilweise zu begreifen. Solche Brücken zu anderen Quellen unserer heutigen Gesellschaft bleiben jedoch systematisch aussen vor. Man mag noch darauf hoffen, dass die noch in Entwicklung stehenden Materialien für die Mittel- und die Oberstufe hier etwas sachgerechter werden. Doch in einem entscheidenden Punkt ist das Aufschieben auf einen späteren Zeitpunkt und höhere Schulklassen nicht tolerierbar: Nirgends wird vermittelt, dass es heute eine Selbstverständlichkeit ist, dass in jeder Schulklasse etliche Kinder aus Familien kommen, die sich nicht an religiösen Wertvorstellungen orientieren. Verharmlosend und einseitig Die Verkürzungen und Weglassungen fallen allerdings systematisch einseitig aus. So wird im Schülerbuch zur Arche-Noah-Geschichte lediglich ausgesagt, sie erzähle, «dass Noah ein grosses Schiff baute, um seine Familie und die Tiere zu retten». Wohl gibt es in den fakultativ zu verwendenden Klassenmaterialien eine ausführlichere Version der Genesis-Geschichte, in der wiedergegeben ist, dass Gott eine Flut über die Erde brachte, «um alles, was lebendig ist, zu verderben». Doch auch in den Lehrermaterialien wird nirgends dazu eingeladen, dies als Grundlage für eine Debatte über Ethik zu verwenden. Nein, es wird Lehrpersonen nicht einmal Hilfestellung angeboten, sollten verstörte Fragen von Kindern kommen – geradezu eine Einladung an die Lehrpersonen, das Zusatzblatt wegzulassen, um keine Diskussionen führen zu müssen, welche die Buchautoren nicht vorsahen. Den Lehrpersonen wird nur mitgeteilt, dass die NoahGeschichte für alle drei Buchreligionen von grosser Bedeutung sei und es deshalb wichtig sei, dass die Kinder die wichtigsten Begriffe kennen und ihre heutigen Übertragungen verstehen würden. So wird beispielsweise festgehalten, dass die Arche mitunter von Naturschutzorganisationen als Symbol für Artenschutz verwendet wird oder auch zur Symbolisierung von Geborgenheit. Die Arche-Geschichte gehört sicherlich zu denjenigen Geschichten, die von Kirchen am häufigsten tradiert werden, es ist also selbstredend in Ordnung, dass sie auch im Blickpunkt-Buch Eingang findet. Doch diese einseitige Darstellung, das bewusste Unterdrücken der Tatsache, dass die Geschichte gleichsam eine eines ungeheuerlichen – wenn auch glücklicherweise nur mythologischen – Genozids ist, zeigt, dass die Autoren nicht neutrale Religionskunde zum Ziel hatten. Augenscheinlich wird die fehlende Ausgewogenheit bereits in der Einleitung zum Lehrerkommentar. Ganz zum Schluss wurde es um ein Unterkapitel angereichert, in dem dargelegt wird, welche Kompetenzen das Fach fördern solle. Zu Beginn heisst es dort: «Um die Gesellschaft und die Welt besser zu verstehen, braucht es auch ein elementares Grundlagenwissen über Religion und Religionen. Der Aufbau dieses Grundwissens gehört zum allgemeinen Bildungsauftrag der Schule.» Gleichbehandlung verletzt Diese Kinder, egal ob sie aus dezidiert weltlich-humanistischen Elternhäusern stammen oder aus solchen, bei denen die Religion einfach längst aus dem Alltag entschwunden ist, haben ein Anrecht darauf, als gleichwertig wahrgenommen zu werden. Doch die Blickpunkt-Materialien bieten weder den Schülern namhafte Angebote, in denen sie sich und ihr Umfeld wiedererkennen, noch werden sie überhaupt als real existierende Gruppe der Bevölkerung erwähnt. Wenn nur sie verpflichtet werden, sich in die Lebenswelt ihrer tatsächlich oder scheinbar religiösen Klassenkameraden reinzulesen, reinzufühlen und reinzudenken, bleibt zudem der angestrebte Kompetenzgewinn für die religiös geprägten Kinder auf der Strecke. Wohl kriegen diese teilweise mit, was andere Religionen an Gemeinsamem und Trennendem anzubieten haben. Doch nirgends müssen sie sich dazu Gedanken machen, woher gesellschaftliche Werte kommen und wie Kinder und Erwachsene, die sich nicht nach irgendwelchen Gottheiten richten, eigene Wertvorstellungen entwickeln. Nichtreligiöse Kultur fristet ein Schattendasein Wohl wurde auf Intervention der Freidenker der eine oder andere nichtreligiöse Brauch ins Lehrmittel aufgenommen, so ist nun beispielsweise das Sechseläuten aufgeführt, das als Zürcher Tradition tatsächlich viel eher zur Lebenswelt der Kinder gehört als so manches religiöse Beispiel, das im Buch vertieft wird. Völlig frei denken. 3 I 2012 «Kultur und Religion» I 9 ausging, dass es ausgerechnet auf Kosten einer Stunde «Mensch und Umwelt» in den Stundenplan aufgenommen würde, kann das nachmalige inhaltliche Scheitern nicht primär dem Postulatstext und damit auch nicht der politischen Vorgabe angelastet werden. Der Ansatz, alles Weltliche auszugrenzen und alles Religiöse zu zelebrieren, trägt vor allem die Handschrift des zuständigen Bildungsrats Jürgen Oelkers. Er betrachtet «religiösen Analphabetismus» als grosses gesellschaftliches Problem und ist Mitherausgeber des Buches «das verdrängte Erbe», in dem lamentiert wird, dass die Pädagogik die Rolle der Religion nicht mehr würdige. Seine persönliche Überzeugung stand Oelkers ganz offensichtlich im Weg, als er den Auftrag erhalten hatte, die Leitung des Projekts für dieses neue Fach zu übernehmen. Er war es, der im Zürcher Modell Ethik ausdrücklich aussen vor lassen wollte, ja selbst bei der interkantonalen Vereinbarung des Lehrplans 21 für Zürich eine Ausnahmeregel durchdrücken will, weil er weiss, dass das Fach in der von ihm gewählten Aufmachung diesen Leitlinien widerspricht. Als problematisch erwies sich weiter, dass auch die beiden Hauptvertreter der Pädagogischen Hochschule und des Lehrmittelverlags, Dr. theol. Matthias Pfeiffer und lic. theol. Kuno Schmid, nicht aus ihrer Theologenrolle zu schlüpfen vermochten. Schmid meinte gar ausdrücklich, man müsse das Religiöse ans Licht zerren. Das soll er tun dürfen, Aufgabe der Volksschule ist dies jedoch nicht. Das Dreier-Team verzichtete trotz des Vorschlags der Freidenker darauf, die Fachstelle Ethik der Universität Zürich beizuziehen, ganz im Gegensatz zum Kanton Graubünden, der ihr gar die Projektleitung für sein eigenes, in Entwicklung begriffene Fach «Religionskunde und Ethik» übertrug. Auch andere ausserkantonale oder ausländische Materialien und Spezialisten wurden nicht konsultiert, als Zaungäste dabeisein durften nur die Religionsgemeinschaften (und mit einiger Verzögerung auch die Freidenker). Die Mitarbeit der Religionsgemeinschaften bestand jedoch im Wesentlichen im Ausfeilschen, wer wie viele Seitenzahlen zugut hat. Begehren der Freidenker wurden systematisch übergangen, ja mehrfach nicht einmal protokolliert. Eine einzige Religionswissenschafterin, die zu Beginn in dieser Begleitgruppe den Versuch unternommen hatte, den Qualitätsstand zu heben, warf nach einiger Zeit frustriert den Bettel hin, auch ihre Einwände fanden bei Oelkers kein Gehör. ausgeblendet wird allerdings der heidnische Bezug, dies ist auch bei den Materialien zur Fasnacht der Fall. Einzig beim Thema Ostern wird kurz die vorchristliche Symbolik von Hasen und Eiern als Fruchtbarkeitssymbole erwähnt. Als nichtchristliche Feiertage werden Neujahr, der 1. Mai, der 1. August und das Geburtstagsfest erwähnt. Nirgends aber wird dazu eingeladen, über die Bedeutung zu diskutieren, welche die Schülerinnen und Schülern ihnen persönlich beimessen. Auch hier wird also bewusst den Lebenswelten von nichtreligiösen Kindern kein wirklicher Raum gegeben. Nirgends wird aufgezeigt, dass die heutige Kultur nur zu einem kleinen Teil religiöse Bezüge herstellt, dabei würde einmal den Züritipp aufschlagen zur Beweisführung genügen. Die auch für die meisten Kinder im Alltag wirklich präsente nichtreligiöse Kultur, seien es traditionelle Märchen, sei es Harry Potter, seien es Disney-Figuren oder Computerspiele, die findet allesamt nicht statt. Das Nichtreligiöse kommt also nur am Rand vor, dafür wird fast allem längst Säkularisierten ein religiöser Stempel aufgedrückt. So wird beispielsweise das Winterthurer Albanifest vorgestellt, das als grösstes im Jahresrhythmus stattfindendes Stadtfest Europas gilt. In den Materialien wird – durchaus richtigerweise – auf den Namensgeber hingewiesen, Alban aus England, einer der drei Stadtheiligen von Winterthur. Was aber nicht erzählt wird, ist, dass die Stadt das Albanifest nicht wirklich wegen Alban feiert, sondern wegen Rudolf von Habsburg, welcher der Stadt ein ganzes Jahrtausend nach dem Tod Albans einen Freiheitsbrief verliehen hatte, am 22. Juni, dem Tag des St. Alban. Winterthur gedenkt also nicht in erster Linie einem christlichen Märtyrer, sondern feiert wenn schon die gewährte Autonomie. Den allermeisten Besuchern dürfte aber sowohl der religiöse wie auch der weltliche Geschichtsbezug unbekannt sein – der verbreitete Wissensmangel beeinträchtigt die Festlaune allerdings bestimmt nicht. Doch auch davon ist im Buch natürlich keine Rede. Fehlendes Monitoring Dass es so weit kommen konnte, hat auch mit der diesbezüglichen Führungsschwäche der zuständigen Bildungsdirektorin, der SPRegierungsrätin Regine Aeppli zu tun. Ihr Votum an den Kantonsrat liess im Jahr 2005 eigentlich hoffen, dass sie hohe Erwartungen an das Ergebnis haben würde, gerade auch, was das Nichtdiskriminieren nichtreligiöser Kinder anbelangt. Doch das Monitoring entglitt ihr offensichtlich. Dies mag an den zahlreichen parallel stattfindenden Reformen gelegen haben, für die sie zeitgleich verantwortlich war und ist, die zumeist von der Lehrerschaft und von den Medien weitaus intensiver und kritischer begleitet wurden als die Neueinführung dieses Fachs. Doch auch wenn dies ihr Nichthandeln in diesem Krisenfall zu erklären mag, es verdient wie das Lehrbuch die Note ungenügend. Andreas Kyriacou Führungsschwäche und personelle Fehlentscheide Es liessen sich weitere Beispiele dieser gewollten Einseitigkeit aufführen, relevanter ist aber natürlich die Frage, wie es dazu kommen konnte. Die Ausgangslage war ursprünglich nicht grundverkehrt. Im November 2005 hatte der Zürcher Kantonsrat ein Postulat mit deutlichem Mehr überwiesen, welches die Einführung des Schulfachs «Religion und Kultur» forderte. In ihm sollten «Fragen nach ethischem Handeln und nach Werthaltungen zur Sprache kommen». Die Initiantin Andrea Widmer-Graf (erst LdU, dann FDP, später SP) argumentierte: «Ein obligatorisches Fach hat den grossen Vorteil, dass alle Kinder einbezogen werden. Auf diese Art kann das Fach einen wesentlichen Beitrag zur Integration und zu einem friedlichen Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft leisten. Es trägt zu einem besseren Verständnis von unterschiedlichen Kulturen und Religionen bei und fördert Solidarität, Rücksichtnahme und Toleranz.» Auch wenn in der damaligen Kantonsratsdebatte keiner gefragt hatte, ob es wirklich sinnvoll sei, ein solches Fach bereits in der Unterstufe einzuführen, und damals wohl noch keiner davon Spenden für rechtliche Auseinandersetzung Das Fach «Religion und Kultur» hat den Status «provisorischobligatorisch»: Bildungsrat und Volksschulamt sind sich bewusst, dass sie sich mit ihrem Zürcher Alleingang auf juristisch dünnem Eis bewegen. Artikel 15 der Bundesverfassung hält fest, dass niemand gezwungen werden darf, religiösem Unterricht zu folgen. Da es im Rahmen der Mitarbeit in der Begleitgruppe nicht möglich war, die Einseitigkeit des Fachs zu beseitigen, bietet es keine neutrale Religionskunde, sondern faktisch doch nur das, was nicht unter Zwang erteilt werden darf: Religionsunterricht. Deshalb unterstützen die Freidenker Eltern, die auf eine Abmeldemöglichkeit für ihre Kinder bestehen wollen, finanziell und juristisch. Wir bitten dazu um Spenden auf: frei denken. 3 I 2012 Freidenker-Vereinigung der Schweiz 3001 Bern Vermerk: «Religion und Kultur» Postkonto 84-4452-6, IBAN CH7909000000840044526 10 Carola Meier-Seethaler «Ich glaube an die moralische Kraft des Menschen» Motto des 6. Essay-Wettbewerbs der Berner Zeitung Bund war ein Zitat des britischen Schriftstellers Julian Barnes: «Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn.» Über 200 Beiträge wurden eingereicht, darunter auch einer der Berner Philosophin und Psychologin Carola Meier-Seethaler, die den Freidenkern von ihren Vorträgen zum Thema «A-theistische Spiritualität» im Jubiläumsjahr 2008 bestens bekannt ist. Sie hat uns ihren Essay zum Abdruck überlassen. Die Gretchenfrage, wie wir sie aus Goethes Faust kennen, wurde nicht erst in der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts gestellt. Sie ist viel älter und markiert seit der Antike die Grenze zwischen Wissen und Glauben. Verblassten die griechischen Götter unter dem naturwissenschaftlichen Blick eines Demokrit (460–371 v.u.Z.) und Epikur (342–271 v.u.Z.), so erklärten die Sophisten als Erste die Gottesbilder zu menschlichen Wunschbildern. Damit war bereits das Thema der «Gottesbeweise» beziehungsweise deren Vergeblichkeit aufgeworfen, ein Diskurs, der Theologen und Philosophen im gesamten Mittelalter und in der Neuzeit bis Kant in Atem hielt. Aber auch nachdem mit der Kritik der reinen Vernunft die metaphysische Spekulation für immer ad acta gelegt schien, und Darwins Evolutionslehre der Vorstellung einer planvollen Schöpfung die Basis entzogen hatte, stand die Gretchenfrage noch immer im Raum. Diese Hartnäckigkeit wird dann plausibel, wenn wir bedenken, dass hinter der Frage nach Gott noch ein zweites, dringendes Erkenntnisbedürfnis steht. Neben der Frage nach der Entstehung des Universums ist es die Frage nach dem Sinn des Lebens als Ganzem und dem der Menschen im Besonderen. Hatte für das erste Problem der «kosmologische Gottesbeweis» eine scheinbare Lösung gefunden, aber mit den Errungenschaften von Astrophysik und Evolutionsbiologie an Glaubwürdigkeit verloren, so konnte er zur Not mit dem Hinweis auf eine erste Ursache formal aufrechterhalten werden.( Dies wurde mit dem «Deismus» versucht, indem man den Ablauf des Weltgeschehens seiner Eigengesetzlichkeit überliess und Gott nur noch als dessen Initiator auffasste). Hingegen blieb der praktische oder moralische Gottesbeweis deshalb so unabweisbar auf der Agenda der religionsphilosophischen Diskussion, weil mit ihm die Sinnfrage auf Gedeih und Verderben verknüpft schien. Selbst Kant (1724 –1804), der die Motivation zum moralischen Handeln als unabhängig vom religiösen Glauben erkannte, sah sich dazu gedrängt, Gott und Unsterblichkeit als rechtmässige Annahme einzuräumen, wenn auch nur als ein Postulat der praktischen Vernunft. Dabei war schon vor ihm David Hume (1711–1776), von dem Kant sagte, er habe ihn aus dem «metaphysischen Schlummer» geweckt, dem moralischen Gottesbeweis mit prinzipieller Skepis begegnet. In seinem erst postum veröffentlichten Dialog über die natürliche Religion zweifelt einer der Protagonisten am Bild von der Vollkommenheit Gottes, indem er die schon von Epikur gestellten Fragen aufgreift, ob die Gott zugeschriebenen Eigenschaften von Allmächtigkeit und Güte miteinander vereinbar seien. Auf die kürzeste Formel gebracht lauten sie: Will er Übel verhüten und kann nicht? Dann ist er nicht allmächtig. Kann er und will nicht? Dann ist er übelwollend. Will er und kann er es, woher dann das Übel? Bis heute bleibt das Theodizeeproblem, das heisst die Rechtfertigung Gottes angesichts unverschuldeter Leiden, ungelöst. Jüdische und christliche Theologen weichen ihm aus, indem sie sich auf die unergründlichen Ratschlüsse Gottes zurückziehen oder ihre Hoffnung auf einen gerechten Ausgleich im Jenseits setzen. An diesem neuralgischen Punkt scheiden sich die Verteidiger des Glaubens von den Geistern der Aufklärung noch eindeutiger als an der Frage nach dem Ursprung des Kosmos. Es war Baruch Spinoza (1632–1677), der den radikalsten Schritt auf dem Weg der heraufdämmernden Aufklärung vollzog. Seine Gleichsetzung von Gott und Natur bedarf keines Schöpfers, noch gibt es eine Trennung zwischen Geist und Materie, und dieser «Monismus» nimmt modernste neurobiologische Vorstellungen vorweg. Wenn spätere, romantische Denker euphorisch von «Pantheismus» sprechen, um auszudrücken, dass Gott in allen Wesen und in allen Dingen anzutreffen sei, so entspricht dies nur auf verschwommene Weise der ursprünglichen Posi- wird. Embryo, dem eine Zelle entnommen tion Spinozas. Seinen Gott musste man weder fürchten, noch konnte man auf ihn hoffen. Als unpersönliches Wesen ist er kein Richter und kein strafender Gott, aber er ist auch im Gebet nicht erreichbar und wir können auf kein jenseitiges Leben hoffen. Spinozas «intellektuelle Liebe zu Gott» ist nichts anderes als die Liebe zur immer vollkommeneren Erkenntnis aller Naturzusammenhänge. Deshalb war es folgerichtig, wenn Spinozas gläubige jüdische Zeitgenossen ihn als Gottesleugner empfanden und aus ihrer Gemeinschaft ausschlossen. Im Unterschied zur späteren romantischen «Naturfrömmigkeit», welche die grausamen Aspekte der Natur zu vergessen schien, waren sie Spinoza durchaus bewusst. Doch sah er im unbändigen Drang zum Leben in der gesamten Natur und in der bewussten Lebensbejahung des Menschen die positiven Kräfte, dem Dasein trotz aller Leiden glückliche Momente abzuringen. Danke! Am schwierigsten gestaltete sich die Auseinandersetzung mit der Idee des Monismus und des Pantheismus für christliche Denker, denn dieses Konzept bot weder Raum für Transzendenz noch für eine göttliche Heilstat zur Überwindung von Übel und Schuld. Erst in jüngster Zeit ist bei einigen Theologen eine Art Rückzugsgefecht zu beobachten, mit dem sie den theistischen Gottesbegriff gleichsam neutralisieren, um ihn der Kritik zu entziehen. Wenn es im Titel eines theologischen Werks unumwunden heisst «Gott ist nicht gut und nicht gerecht» (A. Benk, 2008), so verschont dies Gott zum vornherein von jedem Rechtfertigungszwang. Anknüpfend an die «negative Theologie» eines Nikolaus von Kues (1401–1464) wird hier auf jede Aussage über Gottes Eigenschaften verzichtet, doch nicht mehr aus der demütigen Haltung des Mystikers, für den jede Inhaltsangabe seiner Gotteserfahrung unzureichend ist. Vielmehr scheint eine völlig unpersönliche, unerforschliche und unerfahrbare «höhere Macht» übrig zu bleiben, der man im Gebet die eigene Verzweiflung entgegenschreien kann, von der aber keine Tröstung zu erwarten ist. Wäre es da nicht ehrlicher, sich zum Agnostizismus zu bekennen und Ethik rein humanistisch zu begründen? Dass ein autonomes Selbstverständnis der Ethik immer noch nicht Allgemeingut ist, hängt mit dem hartnäckigen Missverständnis zusammen, ethische Werte seien stets religiös begründet. Aber weder Buddhas Lehre, keinem Lebewesen Schaden zuzufügen, noch Epikurs Lob der freundschaftlichen Mitmenschlichkeit, und auch nicht Albert Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben waren religiös fundiert. Selbst der Begriff der allgemeinen Menschenwürde entstammt nicht dem theologischen Vokabular, sondern der humanistischen Aufklärung. Im Gegenteil: Jahrhundertelang schützte die theologische Vorstellung von der Gotteskindschaft nicht nur nicht vor barbarischen Kriegen, sondern drückte ihnen noch den Stempel von Religionskriegen auf. frei denken. 3 I 2012 11 Es war der englischen Aufklärung vorbehalten, vom «moral sense» als dem natürlichen Wertempfinden zu sprechen, von einem moralischen Sinn, der allen Menschen eigen ist, wenn er ihnen nicht durch soziale Missstände abhanden kommt oder durch destruktive Ideen ausgetrieben wird. Was zur heute beklagten moralischen Orientierungslosigkeit bei Menschen der westlichen Welt führt, ist nicht ihr Religionsverlust, sondern der fehlende innere Kompass, der durch das konfessionelle Verhaltensdiktat kaum gefördert wird. Wenn wir von der praktischen Lebenserfahrung und der gelebten Moralität ausgehen, so rücken dabei die konkurrenzierenden Ansprüche von Religion und Ethik in den Hintergrund. Es zeigt sich vielmehr, dass Religion und Ethik gemeinsame psychische Wurzeln haben. Beide sind mit rein rationalen Überlegungen nicht zu fassen, nur verstehen sie unter «Glauben» nicht dasselbe. Im Gegensatz zum Deutschen besitzt die englische Sprache zwei Wörter für «Glauben»: «Belief» für das Für-wahrHalten bestimmter Glaubensinhalte, was wir auch Konfession nennen können, und das Wort «faith», das mit Vertrauen zu übersetzen wäre. Bei diesem zweiten Begriff handelt es sich um das Grundvertrauen, wie es in der Primärgruppe zwischen Eltern und Kindern erworben wird und wie es in jeder gewachsenen Gemeinschaft zwischen deren Mitgliedern entsteht. Wenn Friedrich Schleiermacher (1768–1834) das Gefühl der «schlechthinnigen Abhängigkeit» die Quelle des Religiösen nannte, so ist auch das menschliche Gemeinschaftsgefühl von Abhängigkeiten geprägt: zunächst von der Abhängigkeit des Kindes von den Älteren, später von gegenseitiger Abhängigkeit und Verlässlichkeit, was die Grundlage für das Verantwortungsgefühl bildet. So lässt sich als Nahtstelle zwischen Religion und Ethik die Verbindlichkeit nennen, die aus dem Gefühl der Verbundenheit resultiert. A-theistische Ethik verzichtet zwar auf eine transzendente Begründung ethischen Handelns, aber sie schöpft ihre Energie aus dem Mitgefühl, das keiner weiteren Begründung bedarf. Empathie können wir als gleichsam mystische Erfahrung begreifen, weil sie zwar subjektiv intensiv erlebbar, aber objektiv nur indirekt fassbar ist. Heute anerkennt die Wissenschaft altruistische Strebungen als Faktum, nachdem die Psychologie lange auf einer mechanistischen Triebtheorie beharrte und die Wirtschaftswissenschaft nur den egoistischen «homo oeconomicus» gelten liess. Zudem beschränken sich Empathie und kooperatives Handeln nicht auf die menschliche Spezies, sondern sind auch bei Primaten und anderen Säugetieren nachgewiesen. Menschen sind darüber hinaus zur planvollen Förderung des Allgemeinwohls fähig. Auch gibt es, bei aller Verschiedenheit ihrer theoretischen Begründung und ihrer praktischen Verwirklichung, eine Reihe universell anerkannter humaner Werte. Das Gerede vom Kampf der Kulturen verfehlt den eigentlichen Kern des Problems. Die wirklichen Gegensätze spielen sich nicht zwischen den Weltreligionen ab, sondern innerhalb jeder von ihnen als Widerstreit zwischen Fundamentalismus und aufgeklärter Religiosität. Das heisst, christliche und islamische Fundamentalisten stehen einander näher als fundamentalistische und liberale Vertreter der gleichen Religion. Anlass zur Hoffnung auf kulturellen Frieden gibt die junge Generation in traditionell islamischen Ländern, unter ihnen eine grosse Anzahl Frauen und speziell Religionswissenschaftlerinnen, die sich kritisch mit den patriarchalen Strukturen ihres Glaubens auseinandersetzen. Was den innerchristlichen Kulturkampf in Europa und Amerika betrifft, so ist er seit seinem Ausbruch Ende des 19. Jahrhunderts noch immer nicht beigelegt. Die katholische Amtskirche verwirft oder ignoriert bis heute die Befreiungstheologie und die feministische Theologie als die beiden kreativsten Erneuerungsbewegungen des Christentums. Gerade sie hätten die Kluft zwischen theologisch und humanistisch fundierter Ethik frei denken. 3 I 2012 schliessen können, weil sie von dem Grundsatz ausgehen, dass die Orthopraxie - das richtige Handeln – den Vorrang vor der Orthodoxie – der richtigen Lehre - habe. Die feministische Theologie verabschiedet sich nicht nur vom männlichen Gottesbild, sondern zugleich von einem abstrakt definierten Gottesbegriff, um ihn durch die Idee der liebenden Beziehung zu ersetzen. In ihrem Sinne wird Gott nicht als absolute Instanz begriffen, sondern als ein Geschehen, das sich in und zwischen Menschen ereignet, die füreinander und für Gerechtigkeit und Frieden einstehen. Freilich setzen solche Glaubensvorstellungen eine völlig andere, undogmatische Christologie voraus. Sie gehen nicht mehr von der Göttlichkeit Christi und der Idee der einmaligen göttlichen Erlösungstat aus, sondern begreifen Jesus von Nazareth als religiösen Visionär und sein Leben und Sterben als kompromisslose Verwirklichung einer herrschaftsfreien und solidarischen Ethik, getragen von tiefer spiritueller Verbundenheit mit allen Menschen. Erst in allerjüngster Zeit scheint diese Saat aufzugehen und als Herausforderung zumindest in der reformierten Kirche angekommen zu sein. Es gleicht einem Paradigmenwechsel, wenn der amtierende holländische Pfarrer Klaas Hendrikse sich als gläubiger Atheist bekennt und er in die Berner Heiliggeistkirche eingeladen wird, um seine Haltung öffentlich zu vertreten. Christsein als Bekenntnis zu einem anderen Leben in dieser Welt, das wäre eine Reformation, die der Vision Ludwig Feuerbachs (1804–1872) ebenso entspräche wie den Hoffnungen politisch engagierter Menschen in aller Welt, die den Gedanken eines demokratischen Sozialismus nicht aufgeben, allerdings ohne den ideologischen Anspruch auf Perfektion. Bleibt noch die Frage: Vermisse ich Gott? Für mich persönlich muss ich das verneinen. Wie sollte ich vermissen, worauf ich mit voller Überzeugung verzichtete? Aber ich bedaure, dass sich viele Menschen mit ihren Glaubenszweifeln allein gelassen fühlen und damit in eine innere Leere fallen, die sie als isolierte Menschen nicht füllen können. Eine Folge davon ist der Zulauf zu mehr oder weniger seriösen Esoterikkreisen oder, weit bedenklicher, zu evangelikalen Gruppen mit ihrer Affinität zum religiösen Fundamentalismus und zur rechtspopulistischen Politik. Unabhängig davon gibt es aber auch für mich Situationen, in denen es mir schmerzlich bewusst wird, keinen umfassenden Trost spenden zu können. Was soll ich einem dreijährigen Kind sagen, dessen geliebte Mutter stirbt? Was einem Kind, das sein ihm am nächsten stehendes Geschwister durch einen Unfall verliert? Wer könnte es da übers Herz bringen, diesen Kindern den Himmel auszureden, wenn sie in einem religiösen Milieu aufgewachsen sind? Auch Erwachsenen gegenüber geht es mir nicht darum, gegen ihren persönlichen Glauben zu argumentieren, weil ich jeden missionarischen Eifer für unangebracht halte. Doch wird mir die Gretchenfrage auf direkte Art gestellt, so ist meine Antwort diese: Ich glaube nicht an Gott, aber ich glaube an die moralische Kraft in uns Menschen, die Leiden zwar nicht abschaffen, aber doch wesentlich lindern kann. Selbst wenn der Himmel leer ist, sollte niemand der völligen Verlassenheit preisgegeben sein, sondern eingebunden in einen Kreis von Mitfühlenden, sei dieser auch noch so klein.  Literatur: Benk, Andreas: Gott ist nicht gut und nicht gerecht. Zum Gottesbild der Gegenwart. Düsseldorf 2008 Damasio, Antonio R.: Der Spinoza-Effekt. Berlin 2005 Hopkins, Julie: Feministische Christologie. Mainz 1996 Hume, David: Dialoge über die natürliche Religion. Hamburg 1968 Meier-Seethaler, Carola: Jenseits von Gott und Göttin. Plädoyer für eine spirituelle Ethik. München 2001 www.meier-seethaler.ch 12 Andreas Kyriacou International Rationalisten im Aufbruch Valentin Abgottspon an der Europäischen Atheistentagung in Köln Skeptische und säkulare Organisationen luden im vergangenen Mai gleich zu zwei internationalen Konferenzen: Die Gesellschaft für die wissenschaftliche Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) war Gastgeberin des sechsten Weltskeptikerkongresses, der vom 18. bis 20. in Berlin über die Bühne ging. Nur eine Woche später folgte in Köln die Europäische Atheistentagung, zu welcher der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten geladen hatte, und im Juni dann die Gründung der Skeptiker Schweiz. «Promoting science in an age of uncertainty» lautete der Slogan der Skeptikerkonferenz, und das Versprechen wurde bestens eingelöst. So erläuterten mehrere Referenten, was die methodischen Voraussetzungen sind, um die Wirksamkeit von Heilmitteln und -verfahren sauber zu überprüfen – und was beispielsweise dabei herauskommt, wenn man scheinbare Allerheilmittel wie Akupunktur einer strengen Prüfung unterzieht. Weitere Referate befassten sich mit Pseudowissenschaft im Schulunterricht oder in der Psychologieausbildung. Einen eigenen Block bildete das Thema Kreationismus: Mehrere Vorträge widmeten sich nationalen Unterschieden im Glauben an Schöpfungsmythen. Ebenso thematisiert wurden die Versuche christlicher und muslimischer Kreationistenbewegungen, auch in Europa Einfluss auf die Schulbildung zu nehmen. Die politische Rolle der Religion war in Köln erwartungsgemäss zentrales Thema. Michael Nugent, Vorsitzender von Atheist Ireland, berichtete über das neue Blasphemiegesetz seines Landes und die Versuche, dieses wieder rückgängig zu machen. Nugent betonte, dass dies nicht nur lokal von Bedeutung sei, denn Länder wie Pakistan würden neuerdings auf Irland verweisen, um ihr eigenes Blasphemieverbot zu rechtfertigen. Die Notwendigkeit einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit betonten auch die aus Bangladesch stammende Ärztin Taslima Nasreen und der nigerianische Menschenrechtsaktivist Leo Igwe. Beide Konferenzen waren ein gutes Abbild dieser notwendigen Vernetzung unter skeptischen und säkularen Gruppierungen. Die Berliner Konferenz wurde vom Europäischen Dachverband der Skeptikerorganisationen, dem European Council of Skeptical Organisations, und dem in den USA domizilierten Center for Skeptical Inquiry mitgetragen. Ko-Veranstalter in Köln war die internationale Dachorganisation Atheists Alliance International. Die Giordano Bruno Stiftung unterstützte sowohl die Berliner wie auch die Kölner Veranstaltung. Auch beim letztjährigen Zürcher Denkfest gehörte sie zur Trägerschaft. Die GWUP, ebenfalls Denkfest-Partnerin, wiederum unterstützte die Gründung der Skeptiker Schweiz am 9. Juni 2012, bei der 75 Personen anwesend waren. Rund 60 von ihnen wurden gleich Mitglied. Die Kongresse lösten grosse und positive Resonanz in den Medien aus, im Nachgang zu Köln schrieb der «Spiegel» von einem neuen atheistischen Selbstbewusstsein. Die Szenen der Skeptiker und Säkularisten überlappen sich, beide haben aber unterschiedliche Schwerpunkte: Die Skeptiker verstehen sich unter anderem als Konsumentenschützer, die beispielsweise Scharlatane im Gesundheitswesen blossstellen. Atheistisch geprägte Organisationen setzen sich primär für eine saubere Trennung von Staat und Kirche ein. Was sie eint, ist die Grundannahme, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht. Das lässt viel Raum sowohl für je eigene Engagements wie auch für Kooperationen, beispielsweise an einem nächsten Denkfest.  Herausforderung Mehrsprachigkeit In Berlin und Köln waren wie am Zürcher Denkfest Deutsch und Englisch Konferenzsprachen. Der Grad der Zweisprachigkeit war jedoch unterschiedlich: Am Denkfest fanden die Vorträge in beiden Sprachen statt, sie wurden simultan in die jeweils andere übersetzt. Die Referenten waren eingeladen, möglichst in ihrer Muttersprache zu sprechen, für Folien hingegen war die Vorgabe für alle Englisch. Mit knapp 18’000 Franken machten die Kosten für Fachübersetzer und Technik rund zehn Prozent des Denkfest-Gesamtaufwandes aus. Weitere Landessprachen zu berücksichtigen lag deshalb finanziell nicht drin. In Berlin beschränkte man sich aus Kostengründen auf eine Übersetzung ins Deutsche, die Referate wurden entsprechend allesamt auf Englisch vorgetragen. In Köln wiederum gab es Vorträge auf Deutsch und Englisch, aber keine Simultanübersetzungen. Für einige der auf Deutsch gehaltenen Vorträge wurden – vor allem ab dem zweiten Tag als Reaktion auf Teilnehmerrückmeldungen – während oder nach dem Vortrag mündliche Zusammenfassungen auf Englisch eingeschoben. Einige wenige Referenten hatten zudem Handouts auf Englisch vorbereitet, die zu Beginn des Vortrags verteilt wurden – ein Angebot, das vom eingeladenen Referenten PZ Myers auf seinem Blog ausdrücklich gelobt wurde. Welcher Ansatz an einer internationalen Tagung auch immer verfolgt wird: Es ist eine Herausforderung, sowohl der Sprachenvielfalt wie auch einem engen Kostenrahmen gerecht zu werden. An wissenschaftlichen Fachkonferenzen hat sich Englisch als lingua franca längst etabliert, im Geschäftsleben nimmt es diese Funktion auch in der Schweiz zunehmend ein. Bei Kongressen, die sich ausdrücklich an ein breites Publikum richten, wirkt English only aber sehr wohl ausschliessend. Sowohl in Zürich wie auch in Berlin wurden die Kopfhörer für die Übersetzungen ins Deutsche eifrig gebraucht, und in Zürich und Köln waren etliche Teilnehmer froh, Fragen auf Deutsch stellen zu können. In Berlin hätten zudem ein, zwei Redner ihre Botschaft wohl besser vermitteln können, hätten sie Deutsch sprechen können. In der Skeptiker- und Atheistenszene wächst das Bewusstsein, dass man der vorhandenen Vielfalt Sorge tragen und gerecht werden muss. Es braucht wohl eine vertiefte Debatte, inwieweit dies auch bezüglich Sprachenvielfalt gelten soll und kann. ak frei denken. 3 I 2012 13 Grazia Annen Ethik ohne Gott Säkulare Menschenrechte Dr. Paul Schulz, Gast bei der Sektion Zentralschweiz in Luzern Im Juni hielt Dr. Paul Schulz auf Einladung der Freidenker in verschiedenen Städten Referate zum Thema Ethik ohne Gott. In Luzern widmete er sich dem «Kampf um die säkularen Menschenrechte». Das Thema war umso passender, als sich Luzern zwar mit einem «Zentrum für Menschenrechtsbildung» schmückt, an der Universität die Ethik indessen fest in Theologenhand ist. Paul Schulz begann seine Ausführungen damit, die Widersprüchlichkeiten unserer modernen Gesellschaft am Beispiel des frisch gewählten deutschen Bundespräsidenten aufzuzeigen: Joachim Gauck schwört vor Gott und lebt als «Ehebrecher» in schwerer «Sünde». Politiker bemühen zwar gerne unser christliches Erbe, die Lebenspraxis der Bürger ist aber eine ganz andere. Anstatt Religion zu verteufeln, rät Paul Schulz, die Grundlagen einer Ethik ohne Gott klar zu definieren, denn erst im direkten Vergleich zur gottgegebenen Moral zeige sie ihre Überlegenheit. Den Ursprung der Ethik verortet er in der Idee der Gerechtigkeit, wie sie exemplarisch im Codex Hammurabi zutage tritt. Auf der 1904 entdeckten Stele empfängt dieser das Gesetz vom Sonnen- und Wahrheitsgott Šamaš mit dem Auftrag, es im ganzen Reich durchzusetzen. Diese Allgemeinverbindlichkeit markiert einen Wendepunkt, indem sie die Macht der Obrigkeit bricht. Daran gekoppelt ist das Talion-Prinzip, das ein Gleichgewicht zwischen angerichtetem Schaden und verhängter Sanktion herstellen will. Erst das klare Strafmass macht die Rechtsprechung verlässlich. Die Stele wurde nahe Ur gefunden, der Wiege unserer Zivilisation und Heimat des biblisch überlieferten Abraham. War dieser vom babylonischen Gerechtigkeitsgedanken geprägt, hatte sein Nachfahr Moses als hoher ägyptischer Beamter den Monotheismus des Echnaton im Blick, als er auf dem Sinai die Gebote aus Yahwes Hand empfing und die herumziehenden hebräischen Stämme unter der Thora einte. Die Kirche ist keine Demokratie Das sagen nicht etwa Kritiker, sondern Glaubenshüter geben es ganz offen zu. Noch heute kommt für Religion die Macht von oben. Sie braucht ein Zentralgestirn, wie es der heilige Stuhl, die letzten Monarchie in Europa, verkörpert. Weder die evangelische noch die katholische Kirche kann sich auf die Demokratie berufen, ohne die eigene Deutungsmacht zu untergraben. Die Geburtsstunde der Demokratie fällt in eine Zeit der grossen wirtschaftlichen Not. Obwohl um 600 v.u.Z. in Griechenland der Handel floriert, werden die Massen in die Leibeigenschaft gedrängt. Solon von Athen will das Volk «juristisch» vor der Versklavung retten und erfindet den Persönlichkeitsschutz. Er prägt den Satz: Kein fremdes Recht auf den Leib. Dieses primäre Eigentum an sich begründet alle weiteren Rechte. Zwischen der philosophischen Blüte der Antike und der humanistischen Wende liegt ein Jahrtausend christlicher Theokratie. Der Demokratiefunke kehrt erst um 1150 im Gepäck der Kreuzritter über den frei denken. 3 I 2012 Islam «nach Hause» zurück. Die Renaissance in Italien, die Aufklärung in England und Frankreich revolutionieren das mittelalterliche Weltbild. 1648 schliesslich wird im Westfälischen Frieden der Grundstein für die Entwicklung säkularer, eigenständiger Staaten gelegt, die fortan nicht mehr unter der Fuchtel des christlichen Kaisers stehen. Der Mensch als Mass aller Dinge Spätestens seit der Französischen Revolution kann der Staat sich nicht mehr aus der Religion legitimieren. Während Voltaire noch dem Monarchismus das Wort redet, etabliert Rousseau in seinem Contrat Social die Herrschaft des Volkes. In seinem Modell steht nicht Gott an der Spitze, sondern die menschengemachte Verfassung. Wer sich in der Demokratie auf Gott beruft, hat also ihr Wesen nicht verstanden oder nimmt sie nicht ernst. Dabei dürfen wir stolz auf die säkularen Errungenschaften sein, die den Wert des Einzelnen betonen. Unter Napoleon vollzieht sich die vollständige Trennung von Kirche und Staat im Laizismus, sein Code civil gilt als vorbildhaftes bürgerliches Gesetzeswerk. Ohne Gottesrecht kein grosser Plan, weder Sinn noch Trost. Somit kommen alle Normen von unten, sind relativ und temporär, keine sittliche Regel ist ewig oder überall gültig. Leben kann verelenden. Menschen an der Hoffnungslosigkeit zugrunde gehen. Uns bleibt das nackte Dasein, das wir in Selbstverantwortung und Würde annehmen. Die UNO-Menschenrechtserklärung von 1948 schöpft aus der Idee der Gleichheit und der Solidarität und entfaltet eine Humanität, die ihresgleichen in religiösen Schriften sucht. Das gähnende Nichtwissen über dieses Werk empfindet Schulz als skandalös. Keiner interessiert sich für die eigenen Rechte! Ebenso gering scheint das Bewusstsein, dass der säkulare Staat uns in der individuellen Entfaltung eine schier unbegrenzte Freiheit zubilligt. Auch hier zehren wir aus alten Quellen: Die Römer unterteilten das Leben in einen öffentlichen und einen privaten Bereich. Die «res publica» sieht den Menschen in seinen sozialen Bezügen von Nehmen und Geben. Hier leistet jeder seinen Beitrag an die Gemeinschaft. Nichts entschuldigt politische Abstinenz! Die Gesetze sind von allen gewollt und bindend. Im Privaten sind wir hingegen souverän, in der Gestaltung unserer Beziehungen frei. Leider nutzen wir diese Chancen kaum. Paul Schulz schliesst sein Referat mit Epikur. Er ermuntert uns zur Freude – Carpe diem. Der Weise weiss jedoch um die Gefahren der Ausschweifung und empfiehlt Selbstdisziplin und Achtung vor dem Andern. Tue heute nichts, was du morgen bereust. Hilf dem Schwächeren. Im Zitat aus der Bergpredigt schliesst sich für den Ex-Pastor der Kreis zwischen der Philosophie des Glücks und der Maxime der Menschlichkeit: «Was du willst, dass dir andere tun, das tue ihnen zuerst.» Paul Schulz entlässt uns mit der Aufforderung, Gläubigen mit Vernunftsargumenten zu begegnen und als Atheisten Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen.  Video auf www.frei-denken.ch, DVD kann bei der Sektion Zentralschweiz bestellt werden. 14 I Lesen Sterbehilfe – Pro und Contra Die Sterbehilfe sorgt immer wieder für rote Köpfe. Zeit für einen besonnenen Überblick der aktuellen Meinungen zu einem heiklen Thema. Akteure, Experten und Kritiker zeigen anhand wahrer Fälle und Schicksalsgeschichten, wie Sterbehilfe in den letzten 30 Jahren in der Schweiz, aber auch in Deutschland und im übrigen Europa zu einer nicht mehr wegzudenkenden Realität geworden ist. Die Autoren beziehen Stellung zu den kontroversesten Aspekten der Sterbehilfe – aus der Sicht der Betroffenen, der Angehörigen, der begleitenden Ärzte, Seelsorger, Sterbehilfeorganisationen sowie aus der Sicht von Medizinethik, Recht und Politik. Der Sammelband zeichnet dabei ein feines Bild des Kampfes um Würde und Selbstbestimmung am Lebensende. Der Band enthält auch einen Beitrag der katholischen Theologin und Psychoonkologin («Speerspitze des würdigen Sterbens am Kantonsspital St. Gallen») Monika Renz, mit behauptetem Sonderwissen über «Wahrnehmung in Grenzzuständen», über das innere Erleben von zum Teil bereits Komatösen und das, was diese brauchen, damit sie «nachreifen» können. Sie behauptet unter anderem auch pauschal: «Wer im Sterben auf Selbstbestimmung pocht, macht sich unglücklich» und «Das Leiden muss enttabuisiert werden.» Ebenfalls vertreten ist der Kardiologe Philipp Weiss, der als Arzt mit Suizidhilfe nichts zu tun haben will und Sterbehelfern schon mal pauschal unterstellt, Unmenschen zu sein, weil sie – im Gegensatz zu ihm, dem Arzt (!) – das Sterben anderer Menschen ertragen. Beide waren am 12. Juni 2012 Gäste im Club zum Thema «30 Jahre Exit» auf SRF und haben Exit vehement und streckenweise erschreckend undifferenziert angegriffen. rc Dr. Hans Wehrli, Bernhard Sutter, Peter Kaufmann (Hrsg.) Der organisierte Tod: Sterbehilfe und Selbstbestimmung am Lebensende – Pro und Contra 2012, ISBN 978-3-280-05454-3 Wahrheit oder Rechtbehalten Der Zürcher Jurist Edward E. Ott hat zwei unterschiedliche Texte unter einen Buchdeckel verpackt: Im ersten Drittel des Buches untersucht er die «Welterklärungen» und die Antworten auf die «Sinnfrage» von Anselm Grün, Benediktiner und Vielratgeber, und von Hans Küng, Papstkritiker und Weltethosprediger. Als Untersuchungsinstrumente dienen ihm seine in einem früheren Buch geprägten Erscheinungsformen der «Juristischen Dialektik», d. h. «Argumentationsweisen und Kunstgriffe, die bei rechtlichen Auseinandersetzungen dazu dienen, in den Augen der Hörer und Leser Recht zu behalten, wobei unklar bleibt, ob man in der Sache wirklich Recht hat, und sich das Vorgehen auch ohne Weiteres zur Durchsetzung von Unrecht anwenden lässt» – eine «Kunst des Rechtbehaltens» also, eine «subtile Form der Rhetorik». Sie baut auf der «Eristischen Dialektik» von Arthur Schopenhauer (ca. 1830/31) auf, die mit dessen handschriftlichem Nachlass veröffentlicht wurde und insgesamt 38 Kunstgriffe beschreibt. Wenn man die beiden religiösen Protagonisten etwas kennt, liest sich die Analyse ihrer argumentativen Hakenschläge für Freidenker ganz vergnüglich. In gleicher Weise verfährt der Autor anschliessend mit Stephen Hawkings und Leonard Mlodinows «Der grosse Wurf. Eine neue Erklärung des Universums» (2010) und findet auch dort etliche dialektische Kunstgriffe. Auf die Dauer etwas ärgerlich sind allerdings die vielen Verweise auf sein früheres Werk, welches der an der Methode interessierten Leserin bald als zwingende Voraussetzung für die Lektüre erschien. Im zweiten, längeren Teil des Bandes kritisiert der Autor zuerst traditionelle metaphysische Vorstellungen und geht auf die Frage ein, warum diese trotz offensichtlicher Widersprüchlichkeit grosses Beharrungsvermögen aufweisen – ein unter dem Begriff «credo quia absurdum» («Ich glaube, weil es unvernünftig ist») altbekanntes Prinzip christlicher Auferstehungstheologie. Danach legt er seine eigenen Hypothesen und seine Betrachtungsweise dar: Als Ausgangspunkt seiner «adäquaten Weltsicht» nimmt er das Bewusstsein und inbesondere die «Wahrheit» der «positiven Emotionen als Sinn und Zweck des Lebens» und kommt zum Schluss, dass in der Summe eines Lebens Glück und Unglück oder positive und negative Emotionen sich ausgleichen – Godot lässt grüssen. Schliesslich führt er auch Zeit, Raum und Kausalität auf die «Entstehung und Optimierung der Emotionen» zurück – damit ist die seine Weltsicht umfassend. Obwohl man dem Autor in vielen Gedankengängen mit Gewinn und gerne folgt, entstehen Irritationen, wenn er etwa Begriffe wie «Sinn des Lebens», «Schöpfung» oder «Schicksal» verwendet, ohne sich auf eine klare Definition zu beziehen und ohne zu erörtern, ob und warum diese Begriffe offenbar unentbehrlich sind. Insgesamt fällt auf, dass keinerlei Auseinandersetzung mit philosophischen, neurowissenschaftlichen oder evolutionsbiologischen Exponenten stattfindet. Zudem schlich sich bei der Leserin der Verdacht ein, dass der Autor selber auch hie und da mit rhetorischen Kunstgriffen arbeitet. Am überzeugendsten – wohl auch, weil ganz in seinem juristischen Element – ist der Autor in jenen Abschnitten, wo er über die Fragen von Willensfreiheit und Verantwortlichkeit im Recht nachdenkt. Aber auch in den anderen lebenspraktischen Folgerungen finden sich durchaus interessante Ansätze. Am Schluss des Buches findet sich ein Sachregister, aber bezeichnenderweise kein Literaturverzeichnis. rc Edward E. Ott Dialektik in religiöser und physikalischer Welterklärung Elster Verlag 2012, ISBN 978-3-907668-92-4 Freidenker-Leben Das Buch erzählt – über weite Strecken in Form von Briefen – die Geschichte von zwei jungen, sozialpolitisch engagierten Menschen in Zeiten der Umwälzung der Jahre 1914/18 und dreht sich um Freidenkertum, die soziale Frage, die Frauenemanzipation und die Friedensbestrebungen. Die Verlobten Hans Carl Kleiner und Jenny Kuhn, beide beseelt von Erneuerungsgedanken, kämpfen um persönliches Glück und die Erfüllung ihrer Ideale. Zermürbende berufliche Erfahrungen, familiärer Widerstand gegen die Verbindung mit dem mittellosen Sekundarlehrer und die Bekanntschaft mit dem antirevolutionären Arzt Eugen Bircher und schliesslich dem Aktivisten Robert Grimm führen Jenny an dessen Seite in den Generalstreik. Hans Carl Kleiner, der Vater des Autors, war Mitglied der Zürcher Freidenker und vertrat die FVS 1920 am Internationalen Freidenkerkongress in Prag, von dem im Buch in Wort und Bild berichtet wird. Im Zürich der 1920er-Jahre kämpfte der Sekundarlehrer gegen Religion als Pflichtfach und für einen Ethikunterricht für alle an der Volksschule und forderte Religionswissenschaft statt Theologie an der Universität – ein Mitstreiter des langjährigen FVS-Zentralpräsidenten Ernst Brauchlin. Engagiert hat sich Kleiner vor allem für die soziale rc Evolution und die internationale Friedensbewegung. Beat Kleiner Die Zermürbung BOD 2011, ISBN 3-8391-7485-6 frei denken. 3 I 2012 aus den Sektionen Fribourg Vorstandsmitglieder gesucht Die Zahl der Mitglieder im Kanton Fribourg ist in den letzten zwei Jahren erfreulich gewachsen. In diesem katholischen Kanton wäre eine eigene Sektion ein grosser Fortschritt. Die Geschäftsstelle hat bereits einige Mitglieder kontaktiert und bisher zwei Zusagen für ein Engagement im Vorstand gefunden. Wir suchen noch ein bis zwei weitere Personen, damit wir die Gründung in Angriff nehmen können. Bitte melden Sie sich bei der Geschäftsstelle: 031 371 65 67 oder info@frei-denken.ch. Agenda I 15 Basel Jeden letzten Freitag im Monat 19:00 Freie Zusammenkunft NWS: Gartenfest FUB: Lesegruppe Leitung: Georges Rudolf 079 391 72 45 Persönliche Einladung folgt Restaurant Spillmann Eisengasse 1 Samstag, 25. August bei schlechtem Wetter am Samstag, 1. September Restaurant Antalya Leonhardsgraben 8 Restaurant National Hirschengraben 24 Seerestaurant Churerstr. 28, Rorschach Bern Montage, 20.8.; 17.9. 19:00 Zürich HB: Werbung für den Welthumanistentag Treff für Mitglieder und Interessierte Ostschweiz Freitag, 17. August 20:00 Gemütlicher Abend am See Samstag, 15. September Anmeldung bei Judith Hauptlin, 071 891 54 43 oder judith.hauptlin@gmail.com Spielen und Tanzen statt Büssen und Beten Standaktion geplant Bärenplatz, St. Gallen Details: www.frei-denken.ch Solothurn/Grenchen Herbstwanderung Samstag, 29. September bei schlechtem Wetter am Samstag, 6. Oktober Details: www.frei-denken.ch Wallis FR 3.8.; MI 5.9. 19:00 Abendhock Samstag, 15. September 16:00 Restaurant Traube Visp Hotel Elite Visp Retraite Winterthur Lesegruppe Franz Rueb leitet eine Lesegruppe in Winterthur. Interessierte kontaktieren ihn direkt via franzrueb.ch. In Planung für September «Der Islam in Europa» Saïda Keller-Messahli stellt ihr neues Buch vor Details folgen auf www.frei-denken.ch Bern Strassenmusik zum Welthumanistentag Zentralschweiz Samstag, 11. August 17:00 Einladung folgt Sommertreffen im Atelier Samstag, 15. September 14:00–17:00 Baar (ZG) Details: www.frei-denken.ch Einladung folgt Besuch am Paul Scherrer Institut Villigen (AG) Details: www.frei-denken.ch Zürich Donnerstage, 12.7.; 9.8.; 13.9. 20:00 Abendtreff Montag, 13. August 14:30 Sphères Hardturmstrasse 66 Restaurant Grünwald Regensdorferstr. 237 Rest. Schweighof Schweighofstr. 232 Details folgen auf www.frei-denken.ch Ausflug Grünwald Anreise mit Bus 46 oder 485 Montag, 10. September 14:30 Nachmittagstreff Sonntag, 16. September Denkfest-Spezial: 300 Jahre Rousseau Zentralvorstand 2012 Samstage, 18.8.; 13.10. Freidenkerhaus, Bern Olten Grosser Vorstand 2012 Vaud Kampagne zur Exit-Initiative Samstag, 24. November 10:00-16:00 Interreligiöser Dialog wie wir ihn seit 2000 Jahren kennen frei denken. 3 I 2012 Adressen Trauerfeiern / Rituale Basel: Freidenker Nordwestschweiz Hans Mohler 079 455 67 24 Basel / Nordwestschweiz Freidenker Nordwestschweiz Postfach 260 4010 Basel basel-nws@frei-denken.ch Präsident: H. Mohler 061 261 36 19 Mitgliederdienst: B. Bisig 061 321 31 48 Solothurn / Grenchen Freidenker Solothurn/Grenchen Postfach 217 2545 Selzach grenchen@frei-denken.ch Präsident: S. Mauerhofer 076 478 69 94 Mitgliederdienst: L. Höhneisen 076 539 93 01 Basel: Freidenker-Union Georges Rudolf 079 391 72 45 Bern / Freiburg / Wallis Tony Baumgartner 079 300 20 10 Reta Caspar 079 795 15 92 Freidenker-Union Basel Postfach 4471 4002 Basel basel-union@frei-denken.ch Präsident: G. Rudolf 079 391 72 45 Mitgliederdienst: F. Dürler 061 601 03 23 Ticino Mittelland Hans Mohler 079 455 67 24 Erika Goergen 041 855 59 09 Associazione Svizzera dei Liberi Pensatori (ASLP) Sezione Ticino CP 721 6902 Paradiso ticino@libero-pensiero.ch Ostschweiz Judith Hauptlin 071 891 54 43 Hans Rutishauser 071 646 04 78 Bern Romandie Yvo Caprara 026 660 46 78 Jean-Pierre Ravay 022 361 94 00 FreidenkerInnen Region Bern Postfach 831 3550 Langnau regionbern@frei-denken.ch Präsident: D. Aellig 079 449 54 45 Mitgliederdienst: E. Schenker 031 351 83 82 FR Presidente: G. Barella 078 617 82 72 Vaud Président: Secrétariat: JU / NE J. P. Ravay 022 361 94 00 026 660 46 78 Ass. vaudoise de la Libre Pensée CP 5264 1002 Lausanne vaud@librepensee.ch Solothurn / Grenchen L. Höneisen (Koord.) 076 539 93 01 Genève Tessin Erika Goergen 041 855 59 09 Wallis Melanie Hartmann 078 644 74 72 Libre Pensée de Genève p.a. Eric Perruchoud 4, rue des Epinettes 1227 Carouge geneve@librepensee.ch Président: E. Perruchoud 022 300 10 17 Wallis / Valais Freidenker Wallis Postfach 118 3922 Stalden wallis@frei-denken.ch Präsident: V. Abgottspon 078 671 08 03 Winterthur / Schaffhausen Hans Rutishauser 071 646 04 78 Mittelland Winterthur Präsident: Zentralschweiz Erika Goergen 041 855 59 09 Freidenker Mittelland Postfach 56 4628 Wolfwil mittelland@frei-denken.ch Präsident: H. Haldimann 062 926 16 33 Freidenker Winterthur Postfach 1806 8401 Winterthur winterthur@frei-denken.ch K. Schmid 052 337 06 27 Zürich Hans Rutishauser 071 646 04 78 Sollte unter den regionalen Nummern niemand zu erreichen sein, melden Sie sich bei der FVS-Geschäftsstelle: 031 371 65 67. Ostschweiz Co-Präsident: Zentralschweiz Präsidentin: Freidenker Ostschweiz Sonnenwiesstrasse 11 9555 Tobel/TG ostschweiz@frei-denken.ch D. Stricker 071 917 11 88 Freidenker Zentralschweiz Zugerstrasse 35 6415 Arth zentralschweiz@frei-denken.ch G. Annen 041 855 10 59 Adressänderung melden an: FVS / ASLP Zentralkasse Postfach 217 CH-2545 Selzach zentralkasse@frei-denken.ch Zürich Schaffhausen Freidenker Schaffhausen Postfach 3206 3001 Bern schaffhausen@frei-denken.ch Freidenker Zürich Postfach 3353 8021 Zürich zuerich@frei-denken.ch Präsident: A. Kyriacou 044 253 18 96 Mitgliederdienst: A. Erne 043 299 53 36 AZB P.P./Journal CH-2545 Selzach Freidenker-Vereinigung der Schweiz www.frei-denken.ch