Robert Mächler: «Arme Teufel sind wir alle ...»

Röwer, Gabriele (Hrsg.) Briefe von und an Robert Mächler über Gott und die Welt

Rezension von Dominik Riedo

„Mündig ist der Mensch, wenn er die Lebensgläubigkeit ohne Glaubenslüge lebendig zu erhalten weiss. Er soll lernen, ohne sogenannte Wahrheit zu leben, damit er in Wahrhaftigkeit leben kann.” Diese Sentenz Robert Mächlers (1909–1996) kann als Grundgedanke seines gesamten Lebens und Schreibens gesehen werden. Man findet sie als Motto dem letzten Band einer Reihe postumer Veröffentlichungen vorangestellt, die seit 1999 von der vier Jahre zuvor initiierten Robert-Mächler-Stiftung publiziert worden ist. Der Philosoph und Journalist Robert Mächler dürfte vielen Schweizern zumindest dem Namen nach bekannt sein als religions- und kulturkritischer Essayist und Rezensent sowie als Biograf Robert Walsers. Er hinterliess ein umfangreiches Oeuvre vor allem zum Agnostizismus und zur Sinnsuche im Leben ohne institutionelle Religion, von dem der grössere Teil zu Lebzeiten unveröffentlicht blieb oder nur im Privatdruck erscheinen konnte. Mit dem nunmehr sechsten Band der erwähnten Reihe, einem gewichtigen Auswahlband von Mächlers Korrespondenz, ist dieser für die Schweiz eigentlich beschämenden Situation nach zwölf Jahren endlich ein bedeutender Schlussstein gesetzt. Denn einerseits war Mächler ein Geistesarbeiter, der seine Standpunkte in der Diskussion mit Briefpartnern entwickelte bzw. erklärte. So sind die Briefe nicht bloss ein guter Einstieg in den Kosmos seines Denkens und Fühlens, sondern etliche schon früher greifbare Texte und die darin vorgebrachten Ideen werden durch die in dieser Brief- sammlung nachzulesenden Hintergrundinformationen erst richtig fass- oder nachvollziehbar. Das liegt auch an der hervorragenden Arbeit der Herausgeberin Gabriele Röwer: Neben einer wohl sinnvollen Auswahl von 53 aus über 400 Briefpartnern und dabei jeweils der wichtigeren Briefe glänzt der Band durch eine kenntnisreiche Einleitung in Leben und Werk Mächlers; dazu findet man in den zahlreichen Anmerkungen 23 ausführliche Exkurse zu den Hauptanliegen des Philosophen (gut erschlossen durch einen Überblick im Anhang; dort übrigens auch ein ausführliches Personenverzeichnis). Andererseits erhält die Leserin/der Leser durch die Vielfalt an Briefpartnern und Themen einen Querschnitt geboten durch das religionsphilosophische Geistesleben der Schweiz kurz vor, während und lange nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Reihe der Briefpartner liest sich wie ein Who’s who der ernstzunehmenden Religionsdiskussion jener Jahre: Hermann Hesse, Jonas Fränkel, Karl Barth, Max Daetwyler, Ludwig Hohl, Rudolf Jakob Humm, Kurt Marti, Pirmin Meier, Monika Meyer-Holzapfel, Werner Morlang, Adolf Muschg, Hans Saner usw. Hinzu kommen Briefe mit anderen deutschsprachigen Geistesgrössen wie Thomas Mann, Rudolf Borchardt, Max Brod, Karlheinz Deschner und Volker Michels. Die Zusammenschau des Geisteslebens gewinnt Farbe wiederum durch die Herausgeberin: Sie stellt jede Briefpartnerin/jeden Briefpartner kurz, aber prägnant vor und ordnet sie oder ihn ein in den betreffenden Kontext mit Robert Mächler. Wer also war Robert Mächler und was vermag der Briefband über das oben Gesagte hinaus einer heutigen Leserschaft zu geben? Ganz generell und sehr eindrücklich kann der Sinnsucher stehen als Beispiel für jemanden, der erst relativ spät, mit 54 Jahren, definitiv mit der Kirche brach. Zuvor traute sich der eher scheue Mächler (er litt an Sprachblockaden in der Öffentlichkeit) nicht, allzu heftig gegen die starke Nachwirkung einer Jugendkrise anzudenken. Einem religiösen „Bekehrungserlebnis” in der Psychiatrie in Malévoz/Monthey 1928/1929 verdankte der Jüngling nämlich das Überstehen einer Psychose. Den „Gefahren des Nihilismus und der Schwermut” versuchte er sich daraufhin zu erwehren im christlichen Glauben barthianischer Prägung. Damit hatte er in seiner Zeit als Journalist beim Berner Bund und beim Badener Tagblatt von 1935 bis 1960 jedoch zunehmend Mühe. Nachdem er sich als Journalist endlich selbstständig gemacht hatte, vor allem aber nach der Lektüre von Karlheinz Deschners „Abermals krähte der Hahn” im Jahr 1962 war er bereit, einen echten Schlussstrich zu ziehen. 1963 trat er aus der reformierten Kirche aus.

Fortan war Mächler – nicht zuletzt dank seiner vielen Rezensionen Deschner'scher Werke – einer der entschiedensten Vermittler religionskritischen Gedankenguts in der Schweiz und trat an gegen „das Unwesen der Religionen”, sei es durch Kritik biblischer Grundlagen, sei es ihrer institutionellen Ausprägungen, allen voran in den monotheistischen, zumal christlichen Glaubensgemeinschaften. Ihre „Antworten” auf nicht beantwortbare „letzte Fragen” waren für ihn ein klarer Verrat an der intellektuellen Redlichkeit wie auch ein Mittel des Klerus zur Gängelung der Massen. Und so stellte er wichtige Fragen, etwa an Kurt Marti: Warum die Theologen den „menschenfreundlichen” Teil der Bibel als „Gottesoffenbarung” in Anspruch nähmen, den grausamen indes als geschichtlich bedingt verharmlosten? Oder überraschte mit klugen Aussagen: Er wünsche nicht das Ende der Wirkung der Bibel, nur das Ende des Bibelglaubens; nachher möge die Bibel fortwirken, wie Homer fortwirke, dessen Wertschätzung nicht vom Glauben an seine Götter abhänge. Denn Mächler zeigt sich überzeugt davon, dass es wirkliche Humanität erst geben werde nach dem Verschwinden aller Religion. Der Agnostiker plädierte unter anderem deshalb leidenschaftlich für eine „Vernünftigung” des Menschen. Gerade an diesem Punkt treten spannende Diskussionen auf mit seinen Briefpartnern: Die meisten sehen hier den Vernunftanteil überschätzt und wollen das Irrationale stärker vertreten sehen. Doch Mächler – und das kommt wie gesagt in den Briefen eher zum Ausdruck als in seinen Schriften – mag nach seiner erschreckenden Jugendpsychose die Idee einer möglichst hohen Selbstkontrolle nicht preisgeben. Das wiederum – und auch hier machen die verschiedenen Erklärungen dazu in den Briefen das Ganze verständlicher – hindert Mächler nicht daran, sich eine Art „übernatürliche” Potenz im Weltengrund zu wünschen. Zu sehr steckt in ihm das Bedürfnis, „an Wert und Sinn und an deren Ursprung im Weltganzen” zu glauben, zu sinnlos wäre ihm sonst das Leben; und trotzdem zweifelte er ganz am Ende folgerichtig auch daran: „Und wenn da gar nichts wäre hinter den Wolken?” Und leitet damit quasi über zum Titel des Bandes: „Arme Teufel sind wir alle: ‚Teufel’, weil wir am Naturbösen teilhaben; ‚arme’, weil wir als vernunftbegabte, ein Stück weit der Natur entlaufene Wesen unter den naturhaften Übeln in erhöhtem Masse leiden.”

aus frei denken 1/2011

Die Langfassung des Mächler-Briefbandes ist neu auf der Homepage des Verlags zu lesen: http://www.haupt.ch/verlag/oxid.php/cl/details/anid/9783258075310