Schulfach "Ethik": Welche Ethik?

Wo Ethik drauf steht, lohnt es sich, genauer hinzuschauen, was denn da drin ist. Seit rund 10 Jahren gibt es Bestrebungen, auf die markant steigenden Abmeldungen aus dem konfessionellen Religionsunterricht mit einem Wahlpflichtfach zu antworten, welches die Religionsfreiheit der SchülerInnen garantieren soll.

Hauptkritik der FVS an diesen Pflichtfächern:

  1. Themen und Sprache orientieren sich am christlichen Menschen- und Weltbild. Eine religionsfreie Weltanschauung ist kein Thema.
  2. Wo Wissen über Religionen vermittelt wird, fehlt ohne den Hinweis auf religionsfreie Weltanschauungen jene der gerade in der Schweiz am stärksten wachsenden Minderheit.
  3. SchülerInnen wird als Norm vermittelt, jede/r gehöre irgendeiner Religion an.
  4. Oft erteilen die gleichen Lehrpersonen, die früher konfessionellen Religionsunterricht erteilt haben, auch den Ethikunterricht.
Damit verletzen solche Pflichtwahlfächer unseres Erachtens potenziell die Religionsfreiheit von Religionsfreien.

Lehrplan 21

In der Deutschschweiz wird derzeit der Lehrplan 21 ausformuliert. Er sieht einen Teilbereich «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) vor mit dem Themen: «Ich und die Gemeinschaft», «Existentielle Erfahrungen und Lebensfragen», «Werte und Normen», «Religionen und Weltsichten» und «Religiöse Spuren in der Kultur». Im Frühling 2013 soll die bereinigte Entwurfsfassung in einer breiten Vernehmlassung öffentlich diskutiert werden. Voraussichtlich im Frühling 2014 wird der Lehrplan 21 von den Erziehungsdirektorinnen und -direktoren zur Einführung in den Kantonen freigegeben. Über die Einführung entscheidet anschliessend jeder einzelne Kanton. Heisse Debatten und Versuche, den religiös gefärbten status quo bezubehalten, sind absehbar.

Kt. Aargau

Status

Seit 2000 wird das bekenntnisneutrale Fach "Ethik und Religionen" auf allen Schulstufen unterrichtet.

Lehrplan Themenschwerpunkte sind die Vielfalt der Religionen und Kulturen sowie Lebensgestaltung und Gemeinschaft. http://www.ag.ch/lehrplan/de/pub/lehrplan_volksschule/faecher/religion.php

Religionskundliches und ethische Fragen werden vom Aufbau her getrennt. Neben den Religionen werden auch «Weltanschauungen» genannt, aber nicht ausgeführt.

Kt. Bern

Religionen und Ethik sind auf Primar- und Sekundarstufe im Fach Natur - Mensch - Mitwelt enthalten.

Die Ausgestaltung und Gewichtung ist stark von der Lehrperson abhängig. Das Fach ist wenig konturiert und kam in die Medien, als 2007 ein bereits gedrucktes Lehrmittel «NaturWert» unter öffentlichem Druck teilweise überarbeitet werden musste, nachdem bekannt geworden war, dass darin Evolution und Kreation als gleichwertig erscheinen. Auch an der überarbeiteten Fassung stellten Fachleute noch gravierende inhaltliche und pädagogisch-didaktische Mängel fest.

Kt. Freiburg

Französischsprachiger Kantonsteil

Das Fach «Ethique et cultures religieuses» Teil des Lehrplanes. Es wird im 7. und 8. Schuljahr als Wahlpflichtfach, im 9. als Pflichtfach für alle angeboten.

Deutschsprachiger Kantonsteil

Seit einigen Jahren können an den Orientierungsschulen (7.-9. Klasse) zwei Wochenstunden «Ethik, Philosophie und Religionskunde» als obligatorisches Wahlpflichtfach neben dem konfessionellen Unterricht angeboten werden.

Der Lehrplan für «Ethik, Philosophie und Religionskunde» nennt 5 Lernziele:

1. Was ist der Mensch? Der Schüler/die Schülerin erkennt, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das sich selber wahrnehmen, über sich selber nachdenken und sein Leben selber gestalten kann.

2. Religionen und ihre Bedeutung: Der Schüler/die Schülerin erkennt, dass Religiosität zum Wesen des Menschen gehört und in verschiedener Ausprägung eine Grundkraft des Lebens darstellt.

3. Das Gute und das Böse: Der Schüler/die Schülerin versteht, dass der Mensch das Wesen ist, das immer vor Entscheidungen und damit vor der Frage „gut – böse“, „richtig – falsch“ steht und  damit der Verantwortung für sein/ihr Tun nicht ausweichen kann.

4. Lebenssinn: Der Schüler/die Schülerin erkennt den Menschen als das Lebewesen, das immer nach Sinn sucht, nach einem innern bzw. nach einem umfassenden Zusammenhang seines Lebens seines Tuns, seines Erleidens. Der Schüler hat eine Vorstellung über Glück, glücklich sein und Glück haben.

5. Sterben und Tod: Der Schüler/ die Schülerin erkennt, dass es zum Leben des Menschen gehört, sich mit Sterben und Tod – auch mit den Fragen des eigenen Sterbens und Todes – zu befassen.

Das Fach wird in der Regel von Klassenlehrkräften erteilt..

Lehrplan

"Ethik, Philosophie und Religionskunde" nennt 5 Lernziele:

1. Was ist der Mensch? Der Schüler/die Schülerin erkennt, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das sich selber wahrnehmen, über sich selber nachdenken und sein Leben selber gestalten kann.

2. Religionen und ihre Bedeutung Der Schüler/die Schülerin erkennt, dass Religiosität zum Wesen des Menschen gehört und in verschiedener Ausprägung eine Grundkraft des Lebens darstellt.

3. Das Gute und das Böse Der Schüler/die Schülerin versteht, dass der Mensch das Wesen ist, das immer vor Entscheidungen und damit vor der Frage „gut – böse“, „richtig – falsch“ steht und  damit der Verantwortung für sein/ihr Tun nicht ausweichen kann. 4. Lebenssinn Der Schüler/die Schülerin erkennt den Menschen als das Lebewesen, das immer nach Sinn sucht, nach einem innern bzw. nach einem umfassenden Zusammenhang seines Lebens seines Tuns, seines Erleidens. Der Schüler hat eine Vorstellung über Glück, glücklich sein und Glück haben.

5. Sterben und Tod Der Schüler/ die Schülerin erkennt, dass es zum Leben des Menschen gehört, sich mit Sterben und Tod – auch mit den Fragen des eigenen Sterbens und Todes – zu befassen.

Das Fach kann seine christliche Schlagseite nicht abstreiten. Das christliche Schuld-Vergebungs-Konzept gehört zu den ersten Themen, die behandelt werden, die Sinnfrage wird ausgiebig bewirtschaftet und die "natürliche Religiosität" des Menschen ist vorgegeben.

http://www.fr.ch/doa/files/pdf30/20090406_LehrplanEthik.pdf

Kt. Graubünden

Anlässlich der Abstimmung vom 17.05.2009 (Ethik-Initiative) sprach sich das Bündner Volk dafür aus, dass die Landeskirchen weiterhin eine Lektion Religion erteilen und dass eine für alle Kinder der Volksschule obligatorisch zu besuchende Lektion Religionskunde und Ethik eingeführt wird. Gemäss Zeitplan des Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartementes (EKUD) wird ab Schuljahr 2012/13 in der Bündner Volksschul-Oberstufe und ab Schuljahr 2017/18 in der Bündner Primarschule das Fach Religionskunde und Ethik unterrichtet.

Lehrkräfte

Im Sinne einer Übergangsregelung bietet die Pädagogische Hochschule Graubünden im Auftrag des Amtes für Volksschule und Sport (AVS) in den Jahren 2011 bis 2014 für das Oberstufen-Fach Religionskunde und Ethik eine Fortbildung an. Die Fortbildung im Hinblick auf die Einführung von Religionskunde und Ethik auf der Volksschul-Oberstufe richtet sich an Lehrpersonen der Volksschul-Oberstufe sowie an Religions-Lehrpersonen, welche während der Schuljahre 2007/08, 2008/09 und 2009/10 auf der Volksschul-Oberstufe während mindestens eines Jahres im Auftrag einer Landeskirche sechs oder mehr Wochenlektionen Religionsunterricht erteilt haben.

Zentralschweiz

Kantone Luzern, Uri , Zug , Ob- und Nidwalden Status: Primarschule

Seit dem Schuljahr 2010/11 ist das Fach Ethik und Religionen Bestandteil der Wochenstundentafel für die Primarschule (WOST 06). Dafür ist von der 1.-6. Klasse durchschnittlich eine Lektion vorgesehen. Diese kann auch in anderen Zeitstrukturen (Doppelstunde vierzehntäglich, Projektwoche usw.) und in Verbindung mit anderen Fächern gestaltet werden. Erteilt wird Ethik und Religionen in der Regel von der Klassenlehrperson.

Lernziel: Im Fach Ethik und Religionen werden menschliche Grundfragen mit verschiedenen ethischen, religiösen und weltanschaulichen Traditionen reflektiert. Ziel ist, dass die Lernenden Zusammenhänge in ihrem Umfeld verstehen. Sie bilden so Handlungs-, Ausdrucks- und Denkweisen aus und entwickeln Haltungen. Der Unterricht soll gegenseitigen Respekt, Toleranz und das friedliche Zusammenleben fördern.

Die Grundlagen im Lehrplan sind relativ neutral gehalten. In den Detailbeschreibungen wird aber klar, dass doch eindeutig religiöses Vokabular verwendet wird («Schöpfung») und nur religiös-kulturelle Traditionen behandelt werden.

Kt. Tessin

Seit 2010 gibt es einen Versuch mit einem Wahlpflichtfach «Geschichte der Religionen».

Die Tessiner Freidenker waren zwar in der Kommission zum Thema Wahlpflichtfach vertreten gewesen. Der Entscheid zum Versuch wurde aber von der Verwaltung im Schnellverfahren beschlossen.

Kt. Zürich

NZZ 26.10.2011 Missionarischer Alleingang Das Zürcher Schulfach Religion und Kultur aus nichtreligiöser Sicht

Radikale Kritik am Fach Religion und Kultur kommt aus Freidenker-Kreisen. Der folgende Beitrag kritisiert einerseits die grundsätzliche Anlage des Fachs, anderseits die praktische Umsetzung im Kanton Zürich.

Der Kanton Zürich präsentiert sich nicht ohne Grund gerne als Harmos-Vorzeigekanton. 62 Prozent der Abstimmenden folgten 2008 Regierung und Parlament und befürworteten die überregionale Angleichung der wichtigsten Unterrichtsziele. Zusätzliche Vereinheitlichung soll der Lehrplan 21 bringen, dessen Grundlagen 2010 von den Deutschschweizer Erziehungsdirektoren verabschiedet wurden. Auch hier gilt Zürich als verlässlicher Partner.

Startschwierigkeiten

Doch der Schein trügt: Geht es um die konkrete Realisierung eines neuen Schulfachs, wählt Zürich gerne den Alleingang. Beim Frühenglisch könnte dieser Drang nach Eigenentwicklung in einem Totalschaden enden: Die unter der Regie der Pädagogischen Hochschule Zürich entwickelten Lehrbücher werden trotz Preisauszeichnungen von der Lehrerschaft als nicht praxistauglich angesehen, nun werden eiligst Nachbesserungen in Auftrag gegeben. Die Schulsynode verlangt, das Obligatorium für die Lehrmittel aufzuheben.

Beim Fach Religion und Kultur droht eine ähnlich unrühmliche Entwicklung. Auch hier beauftragten Bildungsdirektion und Bildungsrat den eigenen Lehrmittelverlag und die Pädagogische Hochschule mit der Entwicklung neuer Unterrichtsmittel. Materialien beispielsweise aus Berlin, das seit langem einen Ethikunterricht kennt, wurden bewusst nicht evaluiert. Die Lehrbuch-Entwicklung ist in Verzug, dennoch haben die meisten Schulgemeinden das Fach bereits auf allen Stufen eingeführt. Die Lehrpersonen müssen sich nun mit eigenen Materialien und Entwürfen behelfen. Sie fühlen sich alleingelassen.

Auch von Eltern hagelt es Kritik. Diese bemängeln, dass der Unterricht unbeholfen und wenig zielgerichtet sei und oftmals missionarisch daherkomme. Dies sind beileibe nicht nur Einzelmeinungen: Eine externe Evaluation zeigte im Januar, dass die Hälfte der Lehrpersonen mitunter «teaching in religion» betreibt, also in einen traditionellen Konfessionsunterricht zurückfällt, statt neutrale Religionskunde zu betreiben. Dies überrascht wenig, lehrte doch ein beträchtlicher Teil der verfügbaren Lehrpersonen früher im Auftrag der Landeskirchen. Diese Lehrpersonen brauchen ganz offensichtlich mehr Begleitung und bessere Arbeitsmittel.

Säkularisierte Gesellschaft

Trotz den beträchtlichen Startschwierigkeiten und der ernüchternden Fremdbeurteilung will der Bildungsrat keine Abmeldemöglichkeit einräumen. Mehr noch: Jürgen Oelkers, bis zum Ende seiner Amtszeit in diesem Sommer mit dem Dossier beauftragter Bildungsrat, sträubte sich hartnäckig dagegen, wenigstens auf Beginn des neuen Schuljahres Massnahmen zur Anhebung der Unterrichtsqualität zu ergreifen.

Die Probleme des Fachs sind allerdings grundsätzlicher Natur: Es wurde nie definiert, welche Kompetenzen mit dem Fach gefördert werden sollen, vielmehr wurden die Religionsgemeinschaften nach aus ihrer Sicht relevantem Faktenwissen befragt. Nun kommt der Inhalt als Angebotspalette daher, es wird suggeriert, dass Religiosität zum Leben eines jeden Einzelnen gehöre. Das Fach widerspiegelt somit in keiner Weise die weitgehend säkularisierte Gesellschaft. Kinder aus nichtreligiösen Haushalten - diese bilden in urbanen Räumen die Mehrheit - finden sich und ihre Lebenssituationen in den Materialien nicht wieder. Mit diesem Design können die hehren Ziele des kantonsrätlichen Postulats, mit dem der Grundstein für das Fach gelegt wurde, nicht erreicht werden. Rücksichtnahme und Toleranz sollte das Fach fördern, doch das Zürcher Unikum erreicht höchstens eines: die Aufteilung der Kinder in solche mit und solche ohne Religion.

Totalschaden verhindern

In der jetzigen Form wird das Zürcher Fach den Lackmustest einer Überprüfung auf Verfassungskonformität nicht bestehen, denn es ist faktischer Religionsunterricht unter Zwang. Der Totalschaden lässt sich noch verhindern, allerdings nur, wenn man bereit ist, den eingeschlagenen Pfad wieder zu verlassen. Im Grunde ist dies unproblematisch, gibt es doch zukunftstaugliche Ansätze, zum Beispiel das Bündner Fach Religionskunde und Ethik. Schon der Titel macht klar, dass auch nichtreligiöse Weltanschauungen relevanter Bestandteil des Unterrichtsinhalts sind. In Graubünden einigte man sich zuallererst unter Einbezug aller wichtigen Interessenvertreter auf die Kompetenzen, die man mit diesem Fach schulen will. Die Bündner übergaben die Projektleitung übrigens dem Universitären Forschungsschwerpunkt Ethik der Universität Zürich. Zur Mitgestaltung des Zürcher Fachs wurden die lokalen Fachleute nie eingeladen. Es ist dringend, dass sich die Zürcher Bildungsdirektorin endlich die richtigen Leute ins Boot holt.

Autor Andreas Kyriacou ist Neuropsychologe und Berater für Wissensmanagement. Er vertrat die Freidenker in der Begleitgruppe zum Fach Religion und Kultur.

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